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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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entlarvt. Waren sie, wie alle anderen, getäuscht worden, oder – Katharina schauderte bei dem Gedanken – waren sie womöglich selbst in die Morde verstrickt? Was, wenn einer von ihnen Sebald mit Absicht ausgeliefert hatte, um in Ruhe weiter seinem unheiligen Tun nachgehen zu können? Sie versuchte sich Bruder Johannes als Mörder vorzustellen, und es fiel ihr schwer. Bei Hartmann hingegen ... sie war sich nicht sicher.
    Richard?
    Sie stand auf und begann wieder, durch die Gassen zu wandern. Diesmal achtete sie darauf, dass ihr Gesicht wohlverhüllt blieb.
    Die anatomischen Zeichnungen fielen ihr ein, diese hässlichen, abstoßenden Bilder von freigelegten Muskeln und Knochen, und der schillernde Vogelflügel, aufgespannt auf das Brett, schon leicht nach Verwesung riechend. Richard kam als Mörder ebenso in Frage wie die Brüder Schedel.
    Und dennoch.
    Katharina blieb stehen und rief sich ins Gedächtnis, wie Richard mit ihr in der Zelle gesessen hatte, wie er sich um sie gekümmert hatte, nachdem sie am Rabenstein verletzt worden war. Und vor allem: wie er sie festgehalten und geküsst hatte, nachdem er sie ertrunken geglaubt hatte.
    Es war diese Erinnerung, die Katharina nicht aus dem Kopf bekam ...
    Sie ging weiter.
    Richards eigene Worte hallten in ihr wider.
    Was, wenn ich Euch beichte, ein Mörder zu sein?
    Sie dachte an den gequälten Ausdruck in seinen Augen, an die übermächtigen Anzeichen von Schuld, die er mit sich herumtrug.
    Sie bog um eine Straßenecke und bemerkte plötzlich, dass sie in ihrer Versunkenheit direkt in die Tuchgasse gelaufen war.
    Dunkel und still ragte Richards Haus vor ihr auf, kein einziges Licht brannte hinter den Fenstern. Einige Tauben hockten auf der Dachrinne und gurrten im Schlaf vor sich hin.
    Schon hatte Katharina einen Schritt auf das Haus zugemacht, als ihr Fuß stockte. Wieder hörte sie seine Stimme wispern: Was, wenn ich Euch beichte, ein Mörder zu sein?
    Sie drehte sich um und ging davon.
    Und sie schämte sich dafür, dass sie nicht in der Lage war, Richard zu vertrauen.
    Die naheliegendste Lösung fiel ihr erst eine geraume Zeit später ein.
    Bertram!
    Er wusste, dass sie noch am Leben war, er würde sie nicht verraten. Und er konnte den zuständigen Stellen die Entdeckung eines weiteren Schwanenkadavers melden, ohne Katharina dabei überhaupt zu erwähnen.
    Zwar widerstrebte es Katharina, ihn schon wieder um Hilfe zu bitten, ja, in ihr sträubte sich sogar alles dagegen, dem Henker auch nur unter die Augen zu treten. Aber alle anderen Möglichkeiten waren zu schrecklich, als dass sie eine große Wahl hatte.
    Sie lenkte ihre Schritte in Richtung Henkersteg.
    Sie zog an der Klingel und musste nur wenige Augenblicke warten, bis die Tür aufschwang.
    »Katharina!«, rutschte es Bertram heraus. Sein Blick zuckte über seine eigene Schulter ins Innere seines Hauses, und bevor Katharina noch begriffen hatte, dass er erschrocken aussah, erschien oben auf der Treppe eine uniformierte Gestalt.
    Einer der Büttel, die sie zur Wasserprobe geleitet hatten. Es war Ludwig.
    Katharina erstarrte.
    Das Licht der Kerze, die Bertram in der Hand hielt, fiel voll auf ihr Gesicht, so dass die schützende Kapuze ihre Wirkung verlor.
    »Ihr lebt?« Ludwig riss die Augen auf, aber er reagierte schneller als Katharina. »Fasst sie!«, schrie er, und im selben Moment ertönten hinter ihm laute Stiefeltritte.
    Zwei weitere Büttel tauchten auf.
    Katharina überlegte nicht lange. Sie warf sich herum und rannte quer über den Henkersteg davon. Ihre Schuhe ließen die Holzbohlen dröhnen, und das Geräusch fing sich unter der hölzernen Überdachung des Steges und verstärkte sich dadurch.
    »Haltet sie!«, gellte Ludwigs Stimme.
    Am Ende der Brücke blickte Katharina sich gehetzt um. Sie rannte an einer hohen Mauer entlang, die als Uferbefestigung diente, sprang durch ein Gebüsch am Ende des Weges. Die Büttel waren hinter ihr.
    Sie überquerte den Drudensteg, wieder klangen ihre Schritte laut in ihren Ohren und führte die Büttel, die sie kurz verloren hatten, zurück auf ihre Spur.
    Sie jagte durch einige Gassen, so schnell, dass ihr Tränen in die Augen schossen, und in ihrem Kopf machte sich ein lähmender Gedanke breit. Wo sollte sie hin?
    Die Mauern und das hohe Dach des Rathauses gerieten in ihr Blickfeld, und ganz kurz durchzuckte sie ein Gedanke – Sebald –, bis ihr Verstand ihr sagte, dass er tot war. Ihre Füße hielten für einen Augenblick inne, dann rannte sie weiter.
    In

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