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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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getrauert hatte. Es war einfach keine Zeit dafür gewesen.
    »Hat er dir von den Schriften des heiligen Augustinus erzählt?«, fragte Bettine.
    »Nein.« Joachim hatte eigentlich nur wenig mit ihr gesprochen. Er hatte ihr hauptsächlich zugehört.
    »Augustinus hat in einem seiner Bücher geschrieben, dass Gott jedem Menschen von vornherein bestimmt hat, ob er später einmal in den Himmel oder in die Hölle kommt. Schreckliche Vorstellung, oder? Joachim glaubt, dass Augustinus sich irrt.« Bettine schaute sich sorgfältig nach allen Seiten um, während sie das sagte, und in diesem Moment erinnerte sie Katharina an den zum Tode Verurteilten.
    »Das würde bedeuten, dass die Kirche etwas Falsches lehrt!« Katharina flüsterte es nur, so ungeheuerlich war allein der Gedanke, und sofort dröhnte in ihrem Kopf eine Alarmglocke. Was tat sie hier? Sie war soeben nur mit knapper Not einer Verurteilung als Hexe entkommen, und jetzt führte sie ketzerische Reden. War sie denn völlig verrückt geworden?
    Zu ihrer Überraschung nickte Bettine, triumphierend wie ein Lehrer, dessen Schüler soeben etwas sehr Kluges gesagt hatte. »Sprich nicht zu laut darüber!«, riet sie. »Es sind schon ganz andere Menschenfür eine solche Aussage auf den Scheiterhaufen gestellt worden. Gelehrte Männer. Wenn du mich fragst, dann glaube ich, dass Joachim nicht für einen Verrat an der Stadt auf den Rabenstein gewandert ist.«
    Katharina rieb sich die Knöchel ihres rechten Zeigefingers. Sie wusste, dass Bettines Vermutung richtig war, denn Joachim selbst hatte es ihr gesagt. Aber durfte sie dieses Wissen so einfach weitergeben? Sie entschied sich, lieber zu schweigen. Vorerst.
    Bettine lächelte. »Ich habe viel über Joachims Worte nachdenken müssen, und weißt du was? Sie trösten mich, wenn es mir wirklich schlecht geht. Ich bete dann einfach zu Gott, und in der letzten Zeit habe ich immer häufiger das Gefühl, dass er mich hört.« Sie kicherte leise. »Ich war seit Wochen nicht mehr bei der Beichte! Wenn ich eigentlich hingehen sollte, mache ich stattdessen einen Spaziergang runter zum Fluss und wende mich direkt an Gott. Danach geht es mir besser.« Sie stand auf. Ihre Röcke raschelten dabei, und der Geruch von Seife, den sie ausströmte, verstärkte sich. »Keine Schuldgefühle mehr, Katharina. Die melancholia wird besser.« Sie legte Katharina eine Hand auf die Schulter und sah ihr tief in die Augen. »Denk darüber nach.«
    »Wer ist hier jetzt die Heilerin?«, fragte Katharina.
    Bettine lächelte leicht. »Wer weiß? Aber jetzt muss ich gehen. Meine Schwester wartet auf mich. Wo kann ich dich finden?«
    »Bei mir zu Hause.«
    Bettine beugte sich über Katharina und küsste sie auf den Scheitel. Mit schnellen, weit ausholenden Schritten, die so gar nicht zu der matten und traurigen Frau passen wollten, die Katharina kannte, verschwand sie dann in einer der Gassen. Ihre Schritte hallten noch eine Weile nach. Dann verstummten sie.
    * * *
    Richard und Arnulf teilten sich das Fleisch und auch das Brot, und als beides aufgegessen war, bezahlte Richard den Wirt und verabschiedete sich von dem Nachtraben.
    Er hatte an diesem Nachmittag eine Verabredung mit Enzo Pömer, und er entschied, dass er ebenso gut sogleich zu ihm gehen konnte.
    Thomas ließ ihn ein. »Herr Sterner! Gut, Euch zu sehen. DerHerr Stadtrat erwartet Euch noch nicht so früh, aber ich werde nachsehen gehen, ob er Euch empfängt.« Er verschwand in Pömers Kontor und kehrte gleich darauf zurück. »Er lässt Euch bitten.«
    Richard betrat das Schreibzimmer des Getreidehändlers und blies die Backen auf. Es herrschte eine unglaubliche Hitze in dem Raum, in dem eisernen Ofen in der Ecke brannte ein kräftiges Feuer.
    »Sterner!« Pömer erhob sich mit einem erfreuten Gesichtsausdruck von seinem Schreibpult. »Wie schön, dass Ihr schon da seid!«
    Richard wies auf den Ofen. »Was ist mit Euch? Seid Ihr krank, dass Ihr so kräftig einheizen lasst?«
    Pömer zog schaudernd die Schultern hoch. »Irgendwie schon. Aber keine Sorge, ich befinde mich in medizinischer Behandlung bei den besten Medici von Nürnberg. Sie meinen allesamt, dass ich mir eine Erkältung des Leibes zugezogen habe. Es geht vorbei.« Jetzt bemerkte Richard auch, dass Pömer schwitzte. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen und offenbar auf seinem gesamten Körper ebenfalls, denn die Manschetten und der Kragen seines Hemdes waren feucht. Als er Richard die Hand reichte, fühlte sich seine Haut jedoch kalt

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