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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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er an dieser furchtbaren Krankheit, genau wie mein Bruder. Nur, dass es bei ihm viel schlimmer war. Wo Sebald nur ein paar Finger verloren hatte, verlor er beide Arme und ein Bein. Er verzweifelte und starb schließlich. Und ich begann, nach dem Grund für das Antoniusfeuer zu suchen.« Es folgte eine Erklärung, wie Pömer im Laufe der Jahre aus den schwarzen Roggenkörnern ein Mittel hergestellt hatte, das dazu geeignet war, Menschen in den Wahnsinn zu treiben.
    Katharina schrie vor Ungeduld und Frustration auf. »Richard stirbt! Kümmert das hier denn niemanden?«
    Schedel wirkte irritiert, als sei er soeben aus einem tiefen Schlaf erwacht, und Katharina begriff, dass er in seiner Faszination über Pömers Worte Richard beinahe vergessen hätte.
    Bevor der Medicus etwas sagen konnte, stieß Arnulf ein tiefes, schmerzerfülltes Brüllen aus. Alle Köpfe ruckten zu ihm herum, und Katharina sah, wie er seine Hand aus dem Wasserkessel zog, der neben dem Labortisch leise vor sich hindampfte. Zwischen seinen Fingern, die sich dunkelrot verfärbt hatten, glänzte etwas Metallisches. »Ich habe ihn!« Er ließ den heißen Schlüssel zu Boden fallen.
    Pömer warf sich herum, fixierte Arnulf. »Das wagst du nicht!«, brüllte er. »Du wirst mich nicht verraten!«
    Arnulf wurde blass, aber er stellte den Fuß auf den Schlüssel, um ihn zu Bertram hinüber zu schubsen.
    »Du wirst ebenso büßen wie ich!«, schrie Pömer. Speichel sprühtevon seinen Lippen und benetzte sein fettes Kinn. »Du hast den Wein für die Inquisitoren im Predigerkloster vergiftet ...« Er unterbrach sich mitten im Wort, weil Arnulf den Schlüssel zu Bertram trat.
    Mit einem Klirren rutschte das Metall über den Boden. Pömers Kreischen ähnelte nichts Menschlichem mehr, als er vorwärtsstürzte, hinter dem Schlüssel her. Er prallte gegen Bertram, in dem Augenblick, da dieser den Schlüssel gerade zu fassen bekam. Der Henker verlor das Gleichgewicht, stolperte über den Rand des Brunnens. Mit einem Aufschrei verschwand er. Und der Schlüssel mit ihm.
    Johannes’ Kopf war gänzlich leer, während er sein Gefäß unter den Strom feinen Pulvers hielt, wieder und wieder, ohne innezuhalten. Warten, bis die Schüssel vollgelaufen war, das Pulver neben dem Schacht auf den Boden ausleeren. Seine Armmuskeln zitterten von dem Gewicht der vollen Schüsseln. Er stand in einer knöcheltiefen Schicht, die bei jeder seiner Bewegungen aufwallte und als feiner Staub in die Höhe stieg. Einmal, ganz zu Beginn seiner Bemühungen, hatte er sich gefragt, ob das Mittel auch wirkte, wenn man es einatmete, aber er verspürte keinerlei Halluzinationen, sondern nur den Schmerz in seinem Rücken und die dumpfe Verzweiflung, als er begriff, dass sie nicht gegen das Pulver ankommen würden.
    Die anderen hielten plötzlich inne, doch Johannes weigerte sich, aufzugeben. Er wusste, dass sie nicht nachlassen durften. Die Teufel, die ihn quälten, sie durften nicht die ganze Stadt befallen, und sie saßen in diesem unscheinbaren, nie versiegenden braunen Pulver, das sich in die Tiefe ergoss, weiter und weiter. Erneut streckte er die Hände aus und ließ das Pulver in seine Schüssel laufen. Dabei registrierte er einen kleinen Tumult, der Henker kippte über den Brunnenrand und verschwand in der Tiefe. Die anderen starrten erschrocken hinterher.
    Johannes schüttete das Pulver neben sich. Unten im Schacht tauchte der Henker prustend aus dem Wasser auf, suchte mit einer Hand am Rand nach einem Halt und fand ihn nicht. Johannes hielt die Schüssel unter das Pulver, als der Henker die andere Hand in die Höhe reckte, in der sich der rettende Schlüssel befand.
    So weit entfernt.
    Unerreichbar für sie.
    Johannes kippte die Schüssel aus. Dann ließ er sie sinken.
    Arnulf trat an das Loch im Boden. Mit undurchdringlichem Gesicht blickte er hinein, während dicht neben ihm das braune Pulver in die Tiefe rieselte.
    Dann wandte er den Kopf, sah auf Richard. Schließlich begegnete er Katharinas Blick und hielt ihn einen Augenblick.
    Konnte es wirklich wahr sein? , dachte Katharina. War Arnulf Pömers Handlanger gewesen? Über Arnulfs Schulter hinweg sah sie, wie die beiden Büttel sich vom Brunnenrand erhoben und den Getreidehändler festnahmen.
    »Sag Richard, es tut mir leid«, murmelte Arnulf.
    Dann sprang er kopfüber in die Tiefe.
    Katharina hörte das Klatschen, mit dem sein Körper in das Wasser eintauchte.
    »Das ist doch Wahnsinn!«, entfuhr es dem Löven. »Die Wände sind völlig

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