Seraphim
zugesehen.«
Katharina sah, wie Johannes eine Schüssel mit Pulver auskippte und kurz innehielt, als er hörte, was sein Bruder sagte. Bertram zischte ihm zu, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.
Arnulf kehrte zu seiner fieberhaften Suche zurück.
»Stimmt es, Lorenz?«, fragte Schedel erneut.
»Ja!«, schrie Lorenz ihn an. »Ja! Ich habe diesen Schwan gesehen, und sein schlagendes Herz! Immer haben die Herzen der Tiere noch eine Weile geschlagen, wenn ihr sie freigelegt hattet. Dann sind sie gestorben. Aber der Schwan ist aufgewacht, und ich habe gehört, wie er geschrien hat, als er starb! Er hat so fürchterlich geschrien. Geschrien!« Pömer krallte die Hände ins Fleisch seiner Wangen.
»Was tut Ihr da?«, fragte Katharina.
Schedel wandte sich nicht zu ihr um. »Er will reden und wir müssen es ihm erlauben. Nur dann wird er uns vielleicht helfen, den Schlüssel zu finden.« Er sprach wieder zu Pömer. »Und danach hast du diese Stimmen gehört, Lorenz?«
»Stimmen?« Pömer klang jetzt beinahe träumerisch. »Nein. Keine Stimmen, die kamen erst viel später.«
»Was ist stattdessen geschehen?«
»Ich rannte die Treppe hinunter. Ich wollte nur fort. Fort von dem Geschrei dieses Schwans.« Pömer zog die Nase hoch. »Ich hatte mir vor Entsetzen in die Hose gepisst. Das ist geschehen!«
Bruder Johannes stieß ein gequältes Seufzen aus.
»Und weiter?«, fragte Schedel.
»Pietro hat mich gesehen.« Pömers Stimme hatte wieder ihren gewöhnlichen männlichen, leicht heiseren Klang, aber dennoch war deutlich, dass er nicht aus der Welt seiner Erinnerungen zurückgekehrt war. Katharina verspürte Bestürzung bei der Erkenntnis, dassdem Getreidehändler seine verschiedenen Rollen durcheinander gerieten.
»Er hat mich ausgelacht, weil meine Hose nass war.«
»Und da bist du wütend geworden?«
»Da noch nicht. Erst ein paar Tage später, als ich ihn am Weiher getroffen habe. Er hatte mit seiner Schleuder auf einen Schwan geschossen und ihn am Kopf getroffen. Der ganze Schnabel war zertrümmert. Als ich dazukam, war das Tier schon so gut wie tot. Ich stellte Pietro zur Rede, aber er lachte nur und zog mich mit meiner nassen Hose auf. Da bin ich wütend geworden.«
Katharina spürte, wie sich ein eisiger Klumpen in ihrem Magen ausbreitete. Sebald war tatsächlich unschuldig gewesen! Lorenz hatte Pietro getötet.
»Ich habe ihn geschlagen, und auf einmal lag er da und rührte sich nicht mehr.« Pömer kratzte sich am Hinterkopf. Er sah aus, als fiele es ihm jetzt schwer, sich zu erinnern.
»Warum hast du ihm die Schwanenflügel an die Kleidung geheftet?«, fragte Schedel. Er sprach jetzt sehr sanft.
»Ich wollte zeigen, dass er kein Engel war. Mutter sagte das immer: Pietro, das ist ein wirklicher Engel! Sie mochte ihn lieber als mich, obwohl er gar nicht ihr Sohn war!« Pömer schluchzte auf. »Auch Sebald hat sie immer mehr geliebt als mich, und als er so krank war, da habe ich sie einmal bei ihren Gebeten belauscht. Warum hast du Sebald mit diesem Leiden geschlagen, Herr , hat sie gesagt? Warum meinen Engel? Warum nicht Lorenz? «
Katharina schloss die Augen. Ihre Hände schmerzten vom Halten der Verbände auf Richards Rücken, aber sie bemerkte es kaum.
»Aber als die Sache mit dem Schwan passierte, war Sebald doch längst wieder gesund!«, sagte Schedel. »Er hatte das Antoniusfeuer überlebt.«
»Er war entstellt. Mutter gab mir die Schuld daran, und ich hasste ihn dafür. Als man den toten Pietro fand, glaubtet ihr sofort, dass nur Sebald als Täter infrage käme. Weil keiner wusste, dass auch ich bei Euren widerlichen Studien zugesehen habe.« Pömer grinste, doch es sah sehr traurig aus. »Ich habe nichts getan, um diesen Verdacht zu zerstreuen.«
»Du hast zugelassen, dass dein Bruder gefoltert wurde?«, meinte Schedel ungläubig.
Katharina hielt die Luft an. Es war gefährlich, Pömer Vorwürfe zu machen. Was, wenn er sich deswegen weigerte, ihnen den Schlüssel auszuhändigen? Sie konzentrierte sich wieder darauf, Richards Wunden zuzupressen. Ihre Schultern und Arme hatten längst angefangen zu schmerzen.
»Deshalb verließ ich Padua und ging nach Florenz«, erwiderte Pömer. »Ich versuchte, das alles zu vergessen, fand einen Mann, der bald mein bester ... Freund wurde.« Er zögerte kurz, bevor er das Wort »Freund« aussprach. Katharina weigerte sich zu überlegen, was das bedeuten mochte, welcher Art die Freundschaft Pömers mit diesem Mann gewesen war. »Und dann erkrankte auch
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