Seraphim
Man sucht immer noch nach seiner Leiche.« Schedel verzog das Gesicht.
Richard schluckte. »Und Arnulf?«
»Nichts. Tut mir leid, Richard.«
Nachdem die Büttel Richard aus der Höhle geschafft und ins Predigerkloster gebracht hatten, wo Hartmann Schedel sich um seine Verletzungen kümmerte, hatte man eine groß angelegte Suche nach Bertram und Arnulf in die Wege geleitet. Es hatte sich herausgestellt, dass der Brunnenschacht aus Pömers Höhle mit einem großen Auffangbecken verbunden war, das die Wasserleitungen der gesamten Nordstadt speiste. Zu dem Auffangbecken selbst führteein Gang, den die Röhrenmeister ebenso sorgfältig kontrollierten wie alle anderen auch. Der Gang endete ungefähr eine Elle über dem Wasserspiegel auf einem Felsvorsprung.
Und auf diesem Felsvorsprung hatte man Bertrams Leiche entdeckt. Die Frage war, wie er dort hingekommen war. Katharina vermutete, dass Arnulf sie dort hingelegt hatte, um zu vermeiden, dass der tote Körper das Wasser der Stadt vergiften konnte.
Sie sah Richard ins Gesicht, und sie fand dort die gleiche Hoffnung, die sie selbst hegte.
Möglicherweise war Arnulf noch am Leben.
»Inzwischen hat Pömer angefangen zu plaudern«, berichtete Schedel weiter. »Kein Wunder, schließlich steht die Einstellung eines neuen Henkers unmittelbar bevor.«
Den Gedanken an Bertrams Tod und was er für ihre Mutter zu bedeuten hatte, schob Katharina weit von sich. Damit würde sie sich später befassen.
»Er war komplett wahnsinnig!«, warf Bruder Johannes ein. Er schüttelte sich wie ein Hund.
»Was ich mich die ganze Zeit frage«, sagte Richard und setzte sich ein wenig anders hin. Sein Gesicht verzerrte sich schmerzhaft dabei, und Katharina verspürte den Drang, ihn anzufassen, ihn nie wieder loszulassen. »Warum wollte er Nürnberg bestrafen? Warum nicht Florenz? Immerhin ist er dort verhöhnt worden, nicht hier!«
»Ich habe in den vergangenen Wochen ein wenig nachgeforscht«, erklärte Schedel, »und einige Briefe an befreundete Gelehrte geschrieben, die sich mit der Kunst der Alchemie beschäftigen. Nach dem, was ich in Erfahrung bringen konnte, vermute ich nun, dass es wie folgt abgelaufen sein muss: Die Dämpfe, von denen du mir erzählt hast, Richard, scheinen von einer Substanz namens aqua vini zu kommen. Es heißt, dass die Arbeit mit diesem Stoff langfristig den Geist krank macht. Ich habe von Fällen gehört, in denen Menschen glaubten, mehrere Personen gleichzeitig zu sein.«
»So wie Pömer.« Bruder Johannes war aufgestanden und wanderte im Raum umher. Mit dem Zeigefinger strich er über die Rücken der Bücher auf dem Regal. »Wie lange muss er diese Substanz eingeatmet haben?«
»Lange«, vermutete Schedel. »Ich denke, er hat viele Jahre damit zugebracht, an seinem Gift zu forschen und sich gleichzeitig in der Hierarchie der Stadt hochgearbeitet. Und all die Jahre hat er – bei aller Genialität, die ich ihm leider nicht absprechen kann – wahrscheinlich mit Lorenz in seinem Kopf gelebt. Er wurde Stadtrat, und dann bekam er den Blutbann verliehen, den er jedoch nicht behalten durfte. Seinem kranken Geist muss das wie eine neue Demütigung vorgekommen sein. Er beschloss, seine Rache an Nürnberg zu vollziehen.«
»Aber wo passen die Inquisitoren ins Bild?«, fragte Bruder Johannes. »Ich komme gerade von einem Gespräch mit Markus Krainer. Er hat vor, Nürnberg zu verlassen und sich in ein Kloster zurückzuziehen, um für seine schreckliche Tat zu büßen.«
Ein Schatten umwölkte Hartmann Schedels Stirn. »Wie kann Gott eine solche Tat zulassen und dann verlangen, dass jemand dafür büßt!«
Bruder Johannes schaute ihn finster an, und Katharina begriff, dass die beiden nicht zum ersten Mal über dieses Thema sprachen. Das Gespräch mit Joachim Gunther fiel ihr ein, und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht.
»Die Inquisitoren!« Bruder Johannes rieb sich die Wange. »Sie kamen, um mit unserem Prior über dieses unsägliche Buch zu disputieren, und Nürnberg hat ihnen recht gegeben.«
»Pömer hatte Angst, dass die Inquisitoren unsere medizinischen Studien entdecken würden«, warf Richard ein.
Schedel nickte nachdenklich. »Ich vermute, dass sie der Auslöser für Pömers Engelwahn waren. Wie du sagst, Richard, waren sie für ihn zunächst nur eine Gefahr. Dann begriff er, dass sich ihm eine perfekte Möglichkeit bot, sein Gift auszuprobieren. Quasi zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Er befahl Ar... seinem Mann, den Wein im Kloster zu
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