Seraphim
glatt, da kommt er nie wieder raus!«
Niemand widersprach ihm.
Einen Moment lang stand jeder wie betäubt da, nur das leise Rauschen, mit dem das Pulver unaufhörlich in die Tiefe rieselte, war zu hören.
Dann plötzlich: ein klirrendes Geräusch.
Der Schlüssel war aus dem Brunnenschacht geflogen gekommen und auf dem Fußboden gelandet. Der Löve stürzte sich darauf, packte ihn und schob ihn in die quadratische Vertiefung am Hals des Behälters.
Der Strom des Pulvers wurde dünner. Dann versiegte er.
Katharina konnte den Blick nicht von der Brunnenumrandung lassen. Behutsam legte sie Richards Kopf auf dem Boden ab, stand auf und ging mit steifen Schritten zu dem Loch im Boden.
Als sie einen Blick hineinwarf, wurde ihre Kehle eng.
Die Wasseroberfläche lag mehr als zehn Schritte unter ihr, und sie war ruhig und dunkel. Nur eine einzelne Luftblase stieg auf und brach das Licht der Kerzen. Dann rührte sich nichts mehr.
Niemand sagte ein Wort.
Als Katharina zu Richard zurückging, weinte sie. Sie wollte sich wieder neben ihm auf den Boden sinken lassen, aber jemand griff nach ihrem Ellenbogen und hielt sie aufrecht. Es war Hartmann Schedel.
Die Büttel hatten in der Zwischenzeit Enzo Pömer gefesselt, und jetzt traten sie hinzu und hoben Richard auf. Die Flügel hingen von seinem Rücken herab, blutgetränkt, rot und nicht mehr weiß.
Katharina musste die Augen schließen.
»Kommt«, sagte Schedel leise zu ihr. »Es ist vorbei.«
27. Kapitel
Einige Wochen später
Die Herbstsonne stand tief, als Katharina Richards Kontor betrat, in das man sie gerufen hatte. Hartmann Schedel und Bruder Johannes waren bereits anwesend, und sie erhoben sich lächelnd von ihren Stühlen.
Schedel kam ihr entgegen, zögerte kurz, doch dann schloss er sie kurzerhand in die Arme. »Meine Liebe! Wie geht es Euch?«
Sie hatten sich seit jenem Tag in der Höhle unter dem Burgberg nicht mehr gesehen. Schedel wirkte erschöpft, aber gleichzeitig von einem inneren Frieden erfüllt, den Katharina bisher noch nie bei ihm bemerkt hatte.
»Besser«, antwortete sie. »Die Alpträume lassen nach.«
Schedel hatte in den letzten Wochen immer wieder bei ihr vorsprechen lassen, um sich um sie zu kümmern. Weil sie jedoch vermutete, dass sein größtes Interesse darin lag, herauszufinden, wie sie die Wasserprobe überlebt hatte, hatte sie jegliches Treffen mit ihm freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Nur seinen Bitten, ihm wenigstens durch seine Boten mitteilen zu lassen, wie es ihr ging, war sie nachgekommen, und aus diesem Grund wusste er, dass sie sich nach den Ereignissen nächtelang mit Alpträumen gequält hatte.
Er nickte. »Gut.«
Es fiel Katharina schwer, ihm in die Augen zu sehen, denn im Innersten machte sie ihn nach wie vor für den Tod von Matthias und den anderen verantwortlich.
»Katharina!«
Sie fuhr herum, als sie Richards Stimme hörte. Er stand im Türrahmen, mit der Hand gegen das Holz gestützt, um nicht zu schwanken. Sein Gesicht wirkte blass und eingefallen, aber er lächelte. Die Schatten unter seinen Augen glänzten blauschwarz.
»Richard!«
Er kam näher. Seine Schritte waren noch ein wenig unsicher, und er ging hoch aufgerichtet, als schmerzten ihn die Wunden an seinem Rücken nach wie vor.
Befangen blieb Katharina, wo sie war. »Es ist schön, dich ... Euch wieder bei Kräften zu sehen«, murmelte sie.
Er hielt inne. Dann nickte er. »Wir sollten uns setzen«, schlug er vor. Seine Hände zitterten leicht.
Schedel sprang herbei und schob ihm einen Stuhl hin, auf den er sich seufzend fallen ließ. »Die Treppe ist noch sehr anstrengend«, lächelte er.
»Du solltest ...« Der Medicus winkte ab. »Ach, du hörst ja ohnehin nicht auf mich!«
Mit einem Anflug von Überraschung registrierte Katharina, dass Richard und er irgendwann in den letzten Wochen zu einer vertrauten Anrede übergegangen waren. Sie spürte die Wärme in Schedels Worten und auch die Sorge.
»Hast du den Ratsbericht einsehen können?«, fragte Richard ihn und ignorierte seinen Tadel völlig dabei.
»Habe ich. Der Rat ist der Meinung, dass der Wahnsinn jetzt endgültig abgeebbt ist«, erklärte Schedel. »Das Gift, das in die Wasserleitung gelaufen ist, scheint inzwischen seine Wirkung verloren zu haben. Dem Herrn sei Dank!«
»Hat man etwas von Zeuner gehört?«
Der Bürgermeister war während des letzten Aufruhrs, den Pömers Gift ausgelöst hatte, auf geheimnisvolle Weise verschwunden.
»Nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt.
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