Seraphim
Arme um Mechthilds Leib und barg ihr Gesicht in ihrem Schoß. »Matthias ist tot!«, schluchzte sie.
Die Decke roch nach den gleichen Blüten wie das Bett im Nebenzimmer.
»Ich weiß, Kind. Ich weiß.« Zart wie ein Windhauch strichen die Hände ihrer Mutter über Katharinas Haare, und die Berührung war zugleich tröstlich und schmerzhaft. Sie vertrieb einen Teil der Spinnweben aus Katharinas Kopf, ließ jedoch Trauer und Verlust nur um so stärker hervortreten. Träne um Träne drängte sich aus Katharinas Augen, und an dem Beben, das Mechthild erfasst hatte, spürte sie, dass ihre Mutter auch weinte. Lange Zeit umklammerten sie einander, bis endlich die Tränen versiegten. In Katharina blieb eine große Leere zurück, die sich langsam mit den alten Gefühlen füllte.
Verachtung.
Zorn.
Unangenehm berührt machte sie sich aus der Umarmung ihrer Mutter los, zupfte ihren Schleier zurecht und stand auf. Mechthild schaute sie nur an, und tiefes Bedauern ließ ihre Brust eng werden.Selbst Matthias’ Tod konnte die Kluft nicht überbrücken, die zwischen ihr und ihrer Mutter lag. Es schmerzte Katharina unendlich, das zu begreifen.
Sie drehte Mechthild den Rücken zu, um dem traurigen Blick zu entkommen. Dabei fiel ihr Blick auf den wuchtigen Schrank in der Ecke, und kurz gaukelte ihr Geist ihr ein Bild vor: ein zweischneidiges Schwert, das in einer ledernen Hülle in dem Schrank stand und in diesem Moment anfing, in seinem Gefängnis herumzupoltern.
Sie wandte sich wieder ihrer Mutter zu.
»Wie bin ich hierhergekommen?«, fragte sie. Ihre Stimme zitterte ein wenig. Plötzlich wollte sie nur noch fort von hier, nur weg, hinaus aus dieser Stube, hinaus aus dieser Wohnung, die sie zuvor noch niemals betreten hatte. Sie warf einen Blick aus dem Fenster, das in die andere Richtung wies als jenes im Schlafzimmer. Teile der alten Stadtmauer fielen ihr ins Auge, die erhalten geblieben waren, als man die Stadtbefestigung weiter nach Westen verlagert hatte. Die Wohnung, in der sie sich befand, war aus dem ehemaligen Wehrgang entstanden.
Mechthild wies auf den Lehnstuhl neben sich, doch Katharina zog es vor stehenzubleiben. Dieses Möbel konnte nur Bertram gehören. Ihr Nacken versteifte sich ein wenig. War er zu Hause?
Mechthild schien ihre Gedanken zu erraten. »Im Moment ist er nicht da. Du kannst dich ruhig setzen, Liebes.«
Katharina nahm sich einen der Stühle, die um den Tisch standen, schob ihn näher zu ihrer Mutter hin und ließ sich auf seiner Kante nieder. »Wie bin ich hierhergekommen?«, wiederholte sie ihre Frage.
»Sebald hat dich hergebracht.« Mechthild zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel hervor und begann es zu kneten.
Katharina sog Luft durch die Zähne. Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, und das zeigte ihr, dass sie offenbar durch Matthias’ Tod eine Weile lang völlig in ihrer spinnwebenverklebten Starre versunken gewesen war.
»Du darfst ihm nicht böse sein, Katharina«, bat ihre Mutter. »Er hielt es für das Beste, das wir beide uns gegenseitig trösten.«
»Er weiß, dass ich dieses Haus niemals betreten wollte«, entgegnete Katharina so kalt, wie sie es vermochte.
»Ja, das weiß er. Aber er versteht es nicht. Und er vergisst ab und zu, dass du deine Herkunft lieber geheimhältst. Er hat noch nie verstehen können, dass außer ihm dich niemand wiedererkannt hat, als du aus Antwerpen zurückgekommen bist. Die meisten Menschen vermögen eben sehr viel weniger zu sehen als er.«
Mit den Fingern der Linken rieb sich Katharina über die Augen. »Ich halte meine Herkunft nicht geheim. Ich bin stolz darauf, die Tochter meines Vaters zu sein, aber ...«
»Bitte, Katharina! ... Nicht heute!«
Ohne dass Katharina etwas dagegen tun konnte, wanderte ihr Blick über ihre Schulter zu dem Schrank.
Ob das Schwert tatsächlich darin war?
Man sagte, es fange an zu poltern, sobald ein Todgeweihter die Wohnung betrat. Aus dem Schrank waren keinerlei Laute zu hören.
Katharina versuchte, die verkrampften Schultern zu lockern. Plötzlich schämte sie sich dafür, dass sie Mechthild so angefahren hatte.
»Ich ...« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Entschuldige. Ich sollte nicht so reden. Matthias ...« Die Stimme versagte ihr.
»Ich kann nicht glauben, dass er nicht mehr da sein soll«, flüsterte Mechthild. In ihren Augen glitzerten schon wieder Tränen, und Katharina beneidete sie darum. Ihre eigenen Lider brannten vom Weinen, aber sie waren jetzt wieder
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