Seraphim
trocken.
»Was hat Sebald dir erzählt?«, fragte sie. Mit einem Mal konnte auch sie nur noch sehr leise sprechen. Wusste Mechthild von den Flügeln?
»Dass er bei seiner Arbeit angegriffen und getötet wurde. Dass man noch nicht sicher ist, wer es war.«
Katharina wartete, dass Mechthild etwas hinzufügte. Sie forschte in ihren Zügen nach Hinweisen darüber, dass sie wusste, was der Mörder Matthias angetan hatte, aber sie fand keine. Insgeheim pries sie Sebald für seine Umsichtigkeit.
Eine Weile war es sehr still in der Stube.
»Du hast ihn gefunden, stimmt es?«, fragte Mechthild endlich.
Katharina konnte nur nicken. Wieder und wieder sah sie die weißen Flügel vor sich, den grauen Staub, der sich auf die reinen Federn setzte und sie beschmutzte ... Sie schloss die Augen, riss sie jedoch gleich wieder auf.
»Ich hoffe, sie finden den Mörder«, hörte sie Mechthild sagen. »Und er erhält seine gerechte Strafe!«
Ja , dachte Katharina, für die Strafe wird dein Mann schon sorgen! Der Gedanke klang so deutlich in ihr, dass sie schon fürchtete, sie hätte ihn laut ausgesprochen.
Aber Mechthild sagte jetzt: »Du bist das Einzige, was mir noch geblieben ist, Kind!«
Katharina hätte am liebsten aufgeschrien, aber ihre Kehle fühlte sich an wie mit Glas gespickt. Nein, Mutter , wollte sie sagen. Mich hast du vor Jahren schon verloren! Sie öffnete den Mund, überlegte es sich anders und schloss ihn wieder. Mit dem Zeigefinger fuhr sie sich über die trockenen Lippen. Die Bisswunde schmerzte ein wenig.
»Du hast noch Bertram«, sagte sie stattdessen.
Mechthild nickte bedächtig. »Ja«, murmelte sie. »Ja. Bertram.« Ihre Finger hatten sich jetzt so fest um das Taschentuch gekrampft, dass die Sehnen auf ihren Handrücken deutlich hervortraten. »Ich weiß ...«, setzte sie an und verstummte wieder. »Ich weiß, dass du meine Wahl nicht gutheißen kannst, aber ich ...«
»Du hast den Henker von Nürnberg geheiratet«, unterbrach Katharina sie. Diese Ungeheuerlichkeit ließ sie den Kopf schütteln. Ihr Genick schmerzte, und dennoch tat es gut, endlich beim Kern der Sache angelangt zu sein.
Mechthild ließ das Taschentuch los. »Nachdem dein Vater gestorben war, war Bertram der einzige Mann, der mir Geborgenheit geben konnte. Er ...«
Wieder unterbrach Katharina sie. »Er ist der Henker!« Sie kam sich gemein vor. Kalt. Aber sie konnte nicht anders. Wieder blickte sie zum Schrank. »Bewahrt er da drinnen sein Schwert auf? Ja? Das Schwert, mit dem er den Menschen den Kopf von den Schultern schlägt?«
»Bitte, Katharina!«
Katharina dachte an die Menschen im Lochgefängnis, an Männer, die man mit der Folter zu einem Geständnis hatte bewegen wollen. Sie dachte an ausgerenkte Schultergelenke, an zerquetschte Finger. Ihr wurde übel. Dennoch überwand sie sich, und sagte leise: »Ich weiß, dass du ihn liebst. Aber verlang nicht von mir, dass ich dich verstehe!«
Mechthilds Kinn hatte angefangen zu zittern. »Ich weiß, dass du mich für diese Heirat hasst, Kind. Und ich kann nichts dagegen tun. Aber ich kann dir einiges erklären.«
»Ich will es gar nicht hören!« Katharina war auf den Beinen und schon halb auf dem Weg zur Tür, als Mechthilds Ruf sie aufhielt.
»Katharina! Bitte!«
Widerwillig drehte sie sich zu ihrer Mutter um. Mechthild wirkte wie ein Vögelchen, dachte sie, klein und zart, dort in ihrem Lehnstuhl. Ein Vögelchen, das nicht mehr fliegen konnte. Das seine Flügel durch eine schreckliche Krankheit verloren hatte.
Bei dem Gedanken an Flügel wankte Katharina.
Sie spürte Mechthilds Blick schwer auf sich ruhen. »Seit der Hochzeit hast du jeden Kontakt mit mir abgebrochen. Selbst als du nach Nürnberg zurückgekehrt bist, hast du mich nicht ein einziges Mal besucht. Ich verstehe das. Als Frau des Henkers bin ich zu einer Unberührbaren geworden, und du musst dafür sorgen, dass dieser Fluch dich nicht auch trifft.«
Katharina hörte die Worte, und ein Gedanke wollte ganz hinten in ihrem Kopf entstehen, klein, aber so schmerzhaft, dass sie sich weigerte, ihn zu denken. Ja, es war ihr Recht gewesen! Sie hatte richtig gehandelt. »Nicht einen Gedanken hast du an uns verschwendet, als du Bertram zum Mann genommen hast«, flüsterte sie. »Es war dir völlig egal, was das für Matthias und mich bedeuten würde.«
»Matthias hat mich nicht verleugnet«, murmelte Mechthild.
»Natürlich nicht!«, fauchte Katharina. »Er ist ein erwachsener Mann und noch dazu dein Stiefsohn. Ihn
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