Seraphim
nur.
Zeuner trat zu Richard auf den Gang und schloss die Tür hinter sich. »Was ist?« Seine Augen lagen im Schatten der dunklen Haare und wirkten dennoch durchdringend.
Richard war sich sicher, dass Zeuner einen ausgezeichneten Schöffen abgab. Er warf einen Blick über die Schulter, aber niemand beachtete sie. Am Ende des Ganges war ein Ratsdiener damit beschäftigt, die Schnitzereien abzustauben. Abgesehen von ihm waren sie allein.
Aus einer inneren Eingebung heraus entschied Richard sich, Pömers Schreiben nicht vorzuzeigen, sondern so zu tun, als treibe allein persönliche Neugier ihn hierher. »Es geht um den Mord«, eröffnete er das Gespräch.
7. Kapitel
Katharina erwachte mit einem Gefühl, als fiele sie noch immer. Sie lag in einem fremden Bett, in ihrem Mund war ein metallischer Geschmack. Ihre Unterlippe brannte. Ohne die Augen zu öffnen, tastete sie nach der schmerzenden Stelle und erkannte, dass sie sich im Schlaf blutig gebissen hatte.
Sie ließ die Hand auf ihre Decke fallen, und eine nach der anderen kehrten die Erinnerungen zurück.
Sie war ohnmächtig geworden beim Anblick Faros, aber sie war es nicht lange geblieben. Als sie wieder erwacht war, konnten nur wenige Augenblicke vergangen sein, denn Faro saß noch wie zuvor an die Wand gelehnt, und Sebald war gerade dabei, ihm das Messer zu entwinden.
Faro ließ es geschehen. Immer wieder schlug er mit dem Kopf gegen die Felswand und murmelte unverständliches Zeug. Speichel floss ihm über das Kinn, und seine Augäpfel rollten in ihren Höhlen, so dass Katharina allein der Anblick weh tat.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Faro sich nicht rühren würde, hatte Sebald Katharina zurück in seine Wohnung gebracht. Dort hatte er sie vor den Augen der Stadtbüttel verborgen, die kamen und eine Trage mit sich brachten. Durch einen Vorhang hatte Katharina mit angesehen, wie die Männer im Lochgefängnis verschwanden und kurze Zeit später mit Matthias’ Leichnam zurückkehrten. Mit einem weißen Tuch hatten sie ihn zugedeckt, und doch sah Katharina die Flügelspitzen, die rechts und links unter dem Sichtschutz hervorragten und im Dreck schleiften. Weiße Federn, die den Staub des Bodens einfingen und sich grau färbten. Bei diesem Anblick hatten sich Katharinas Hände in den rauen Stoff des Vorhangs gekrallt.
Danach klaffte eine Lücke in ihrer Erinnerung.
Wo war sie eigentlich?
Der Geruch von Kissen und Decken war nicht der vertraute, die leisen Geräusche des Hauses, das Knarren der Balken, das entfernte Rauschen von Wasser kamen ihr unbekannt vor.
Sie war so unendlich müde. Die Spinnweben füllten ihren Kopf aus, machten das Denken schwierig, so dass sie immer und immer wieder nur um eines kreisten. Matthias!
Jetzt erst öffnete sie die Augen. Eine Kammer, wenige Fuß groß, grau wie alles in Katharinas Innerem. Ihrem Bett genau gegenüber befand sich ein kleines Fenster. Es war mit hölzernen Läden verschlossen, durch deren Ritzen in haarfeinen Strahlen Sonnenlicht hereinfiel und ein Muster auf den Fußboden malte. Außer dem Bett standen in der Kammer nur noch eine alte Holztruhe und ein Gestell mit einem Waschgeschirr.
Katharina wollte sich aufsetzen, doch sie konnte es nicht. Sie sah zu, wie die Sonnenstrahlen auf dem Fußboden auf die Wand zuwanderten und schließlich an ihr in die Höhe stiegen. Es dämmerte, und sie schloss die Augen wieder. Irgendwann schlief sie ein. Die Kammertür wurde geöffnet, und das Geräusch weckte sie. Kerzenlicht fiel auf ihr Bett. Bevor sie es jedoch schaffte, den Kopf zu wenden, um nachzusehen, wer nach ihr schaute, war das Licht bereits wieder fort. Mit einem sanften Geräusch wurde die Tür wieder geschlossen.
»Sie scheint zu schlafen«, glaubte sie jemanden sagen zu hören. Eine tiefe, unbekannte Männerstimme.
Es war ihr egal. Das Licht des Mondes fiel silbrig durch die Ritzen der Fensterläden, und Katharinas Blick klammerte sich daran, bis das Silber ebenfalls zu Grau verblasste.
Dann schlief sie zum zweiten Mal ein.
Diesmal träumte sie.
Im Traum war sie wieder ein Kind, gerade zehn Jahre alt geworden und gefangen in dieser spinnwebgrauen Düsternis ihres Geistes. Ihre Handgelenke schmerzten, weil der Doktor, den ihr Vater hatte kommen lassen, sie zur Ader gelassen hatte. Und ihr war schwindelig vom Blutverlust. Ihr Vater glaubte, sie sei eingeschlafen, aber sie war wach. Mit geschlossenen Augen lag sie da und strengte sich an,um durch das Rauschen in ihren Ohren zu verstehen,
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