Seuchenschiff
gehen lassen konnte. Der Chef der
Norego
schleppte einen Wanst vor sich her, der gut zwanzig Zentimeter über seinen Gürtel hing. Unter seiner weißen Mütze glänzte das Haar ölig schwarz mit grauen Strähnen, und sein Gesicht war voller Bartstoppeln. Ghami konnte nur vermuten, wo die Eigentümer eines derart heruntergekommenen Schiffes einen solchen Kerl aufgetrieben hatten, der es führen sollte.
Während einer seiner Männer hinter dem Kaliber .50-Maschinengewehr des Patrouillenbootes Posten bezog, bedeutete Ghami einem anderen Matrosen, das halbstarre Schlauchboot an der Gangway zu vertäuen. Ein weiterer Matrose hielt sich mit einem AK-47 über der Schulter in seiner Nähe. Ghami vergewisserte sich, dass die Klappe über seinem Holster geschlossen war, und sprang auf die unterste Stufe der Leiter. Sein erster Offizier folgte ihm. Während er nach oben stieg, beobachtete er, wie der Kapitän versuchte, sein Haar zu ordnen und sein schmuddeliges Hemd glattzustreichen. Er erzielte mit beiden Gesten jedoch kaum eine Wirkung.
Ghami erreichte das Deck und stellte fest, dass die Platten an einigen Stellen gerissen waren und seit Jahrzehnten keine Farbe mehr gesehen hatten. Rost bedeckte in einer dicken Schicht jede Oberfläche – bis auf die der Container, die wahrscheinlich noch nicht lange genug an Bord standen, um in ähnlicher Weise unter der Nachlässigkeit der Mannschaft zu leiden. In der Reling klafften Lücken, die mit Kettenabschnitten geflickt worden waren, und die Korrosion hatte sich derart tief in die Aufbauten gefressen, dass sie aussahen, als würden sie jeden Augenblick zusammenbrechen.
Indem er seine Abscheu kaschierte, begrüßte Muhammad Ghami den Kapitän mit einem zackigen militärischen Salut. Der Mann kratzte sich seinen ausladenden Bauch und erwiderte den Gruß, indem er mit einem Finger lässig gegen den Schirm seiner Mütze tippte.
»Käpt’n, ich bin Leutnant Muhammad Ghami von der Iranischen Marine. Der Mann in meiner Begleitung ist Seaman Khatahani.«
»Willkommen an Bord der
Norego,
Leutnant«, erwiderte der Chef des Frachters. »Ich bin Kapitän Ernesto Esteban.«
Sein spanischer Akzent war so stark, dass Ghami jedes seiner Worte in Gedanken wiederholen musste, um sicherzugehen, dass er ihn verstanden hatte. Esteban war einige Zentimeter größer als der iranische Seemann, aber sein überschüssiges Gewicht, das er mit sich herumschleppte, zog seine Schultern nach unten und krümmte seinen Rücken so, dass er und Ghami fast gleich groß erschienen. Seine Augen waren dunkel und feucht, und als er lächelte, während er Ghami die Hand schüttelte, entblößte er gelbe und schiefe Zähne. Sein Atem roch wie vergorene Milch.
»Was ist mit Ihrer Ruderanlage nicht in Ordnung?«
Esteban stieß einen spanischen Fluch aus. »Das Lager hat sich festgefressen. Schon das vierte Mal in diesem Monat. Die knauserigen Eigner«, schimpfte er, »wollen nicht, dass ich den Schaden in einer Werft beheben lasse, deshalb müssen sich meine Männer damit herumschlagen. Eigentlich sollten wir schon heute Abend wieder unterwegs sein, vielleicht aber auch erst morgen früh.«
»Und worin besteht Ihre Ladung, und welchen Hafen laufen Sie an?«
Der Kapitän schlug mit der flachen Hand gegen einen der Frachtcontainer. »Leere Kisten. Sie sind alles, wofür die
Norego
noch gut ist.«
»Was soll das heißen?«, fragte Ghami.
»Wir transportieren leere Container von Dubai nach Hongkong. Volle Container werden angeliefert, ausgeladen und stapeln sich dann auf dem Pier. Wir bringen sie zurück nach Hongkong, wo sie wieder beladen werden.«
Das erklärte auch, weshalb das Schiff so hoch im Wasser lag, dachte Ghami. Leere Container wogen pro Stück nur wenige Tonnen. »Und was haben Sie auf der Rückfahrt hierher geladen?«
»Kaum genug, um unsere Kosten zu decken«, erwiderte Esteban trübsinnig. »Niemand will uns mit etwas anderem als leeren Kisten versichern.«
»Ich muss mir Ihre Mannschaftsliste, Ihre Frachtpapiere und die Schiffsregistrierung ansehen.«
»Gibt es irgendein Problem?«, fragte Esteban schnell.
»Das entscheide ich, nachdem ich Ihre Papiere kontrolliert habe«, sagte Ghami mit einem ausreichend drohenden Unterton, um sicherzugehen, dass der Mann widerspruchslos gehorchte. »Ihr Schiff befindet sich in iranischen Gewässern, und ich habe das Recht, jeden Winkel dieses Kahns zu inspizieren, sofern ich es für nötig halte.«
»
No
problema, señor«
, sagte Esteban mit öliger
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