Seuchenschiff
Studien beschäftigt, als an ihren Freizeitvergnügungen teilzunehmen, aber sie waren immerhin seine Mannschaft gewesen.
In Kesslers Kopf dröhnte ein dumpfes Pochen, und sein Hals wurde so steif, dass er ihn kaum bewegen konnte. Er orientierte sich an dem Berg, der einen großen Teil des engen Fjords verbarg, und trottete über den Gletscher. Auf dem Eis ließen sich Entfernungen nur schwer abschätzen, und was ausgesehen hatte wie höchstens zwei Kilometer, dehnte sich nun zu einem stundenlangen Marsch, der seine Füße taub werden ließ. Ein plötzlich einsetzender Regenschauer, der ihm entgegenpeitschte, durchnässte ihn, und das Wasser auf seiner Jacke gefror und platzte in kleinen knisternden Stücken bei jedem Schritt, den er machte, ab.
Er überlegte, ob er nicht lieber zurückkehren und riskieren sollte, beim Flugzeug zu bleiben, als sein Blick auf das Gebäude fiel, das teilweise aus dem Eis ragte. Als er näher kam und sich erste Einzelheiten aus dem Dunkel schälten, erschauerte er, aber nicht nur vor Kälte. Es war überhaupt kein Gebäude.
Kessler blieb unter dem Bug eines riesigen Schiffes stehen, gebaut aus dickem Holz, mit Kupfer verkleidet und hoch über seinem Kopf aufragend, das im Eis gefangen war. Da er wusste, wie langsam sich Gletscher vorwärtsschoben, schätzte er, dass das Schiff so tief vergraben gewesen war, dass es schon seit einigen tausend Jahren hier gelegen haben musste. Es war mit nichts zu vergleichen, was ihm jemals begegnet war. Noch während ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, wusste er, dass das gar nicht zutraf. Er hatte auch schon früher Bilder von diesem Schiff gesehen. Es waren Illustrationen in der Bibel gewesen, aus der sein Großvater ihm öfter vorgelesen hatte, als er noch ein Kind war. Kessler hatten die Geschichten des Alten Testaments immer viel besser gefallen als die Predigten des Neuen, daher erinnerte er sich sogar an die Maße des Schiffes – dreihundert Ellen lang, fünfzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch.
»… und in diese Arche führte Noah von allen Tieren der Erde je zwei.«
2
Bandar Abbas, Iran
Gegenwart
Der marode aussehende Frachter hatte lange genug vor dem geschäftigen Hafen von Bandar Abbas vor Anker gelegen, um beim iranischen Militär Misstrauen zu wecken. Ein bewaffnetes Patrouillenboot wurde von der nahe gelegenen Marinebasis in Marsch gesetzt und flitzte durch die seichten azurblauen Gewässer auf das etwa hundertachtzig Meter lange Schiff zu.
Das Schiff hatte den Namen
Norego
und war in Panama registriert, wenn man sich auf die Flagge am Flaggenmast verließ. Dem Aussehen nach war die
Norego
für den Containerdienst umgebaut worden, nachdem sie in ihren früheren Zeiten als reguläres Frachtschiff gedient hatte. Auf ihrem Deck ragten fünf Frachtkräne wie astlose Bäume in die Luft, drei auf dem vorderen Teil und zwei weiter hinten. Um sie herum waren hellfarbene Container bis dicht unter die Fenster der Kommandobrücke gestapelt. Trotz der großen Zahl von Containern lag das Schiff so hoch im Wasser, dass mindestens fünf Meter roter Schutzfarbe unterhalb der Ladelinie zu sehen waren. Der Rumpf war einheitlich blau gestrichen, machte jedoch den Eindruck, als hätte er schon lange keine frische Farbe mehr gesehen, während die Aufbauten in einem tristen Grünton gehalten waren. Die beiden Schornsteine wirkten derart von Ruß geschwärzt, dass von ihrer ursprünglichen Farbe so gut wie nichts mehr zu erkennen war. Dünne Rauchfäden kräuselten sich aus den Kaminen und hingen als dunkle Wolke über dem Schiff.
Ein Gerüst aus Stahlverstrebungen war vom überhängenden Teil des Schiffshecks herabgelassen worden, und Männer in ölverschmierten Overalls waren am Steuerruder mit Reparaturarbeiten beschäftigt.
Als das Patrouillenboot in Rufweite kam, hielt der NCO, der als Kapitän des kleinen Gefährts fungierte, ein Megaphon an seinen Mund. »Ahoi,
Norego«
, rief er auf Farsi. »Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir an Bord kommen.« Muhammad Ghami wiederholte seine Worte auf Englisch, der internationalen Verkehrssprache der Handelsschifffahrt.
Wenige Sekunden später erschien ein stark übergewichtiger Mann in einem verschwitzten Offiziershemd am oberen Ende der Gangway. Mit dem Kopf gab er einem Untergebenen ein Zeichen, und die Jakobsleiter wurde herabgelassen.
Während sie sich näherten, erkannte Ghami auf den Schultern des Mannes Kapitänsepauletten und fragte sich, wie sich ein Mann mit einem solchen Rang derart
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