Seuchenschiff
Freundlichkeit. Sein Grinsen glich eher einer Grimasse. »Sollen wir nicht zusehen, dass wir aus dieser Hitze rauskommen, und mein Büro aufsuchen?«
Bandar Abbas lag in der engsten Biegung der Straße von Hormus, der schmalen Einfahrt in den Persischen Golf. Im Sommer waren die Temperaturen tagsüber meist unerträglich, außerdem herrschte kaum ein nennenswerter Wind. Das stählerne Deck unter den Füßen der Männer war im wahrsten Sinne des Wortes heiß genug, um Eier darauf zu braten.
»Gehen Sie voraus«, sagte Ghami und deutete auf die Decksaufbauten.
Die Innenräume an Bord der
Norego
wirkten genauso heruntergekommen wie ihr Äußeres. Die Fußböden bestanden aus zerschlissenem Linoleum, die Wände waren kahl und mit Flecken übersät, wo die Farbe abgeblättert war. Die Leuchtstoffröhren an den Decken gaben ein lautes Summen von sich. Mehrere von ihnen flackerten heftig und erzeugten in dem engen Korridor Schattenspiele.
Esteban führte Ghami und Khatahani über einen engen Laufgang mit losem Geländer in einen weiteren kurzen Korridor. Er öffnete die Tür zu seinem Büro und bedeutete den Männern mit einer Geste einzutreten. Durch eine Tür auf der anderen Seite des Büros konnte man in die Kabine des Kapitäns schauen. Das Bett war ungemacht, und die Laken, die auf dem Fußboden lagen, waren voller Schmutzflecken. Eine einzelne Kommode war an die Wand geschraubt, und der Spiegel darüber hatte einen gezackten Sprung, der von einer Ecke zur anderen verlief.
Das Büro war ein Raum mit rechteckigem Grundriss. Er verfügte über ein einziges Bullauge, das derart mit Salz verkrustet war, dass nur wenig Licht hereindrang. Die Wände waren mit Gemälden von Clowns mit traurigen Augen in grellen Farben auf schwarzem Samt bedeckt. Eine andere Tür führte in ein kleines Badezimmer, das dreckiger schien als eine öffentliche Toilette in einem Slum in Teheran. In dem Büro waren so viele Zigaretten geraucht worden, dass der schale Geruch an allem zu kleben schien, Ghamis Gaumen inklusive. Obwohl er selbst Raucher war, empfand sogar der iranische Marineoffizier einen heftigen Ekel.
Esteban stopfte die nackten Drähte einer Schreibtischlampe in eine Steckdose neben dem Tisch und fluchte, als ein paar Funken sprühten, schien dann aber froh zu sein, dass die Lampe aufflackerte. Er ließ sich stöhnend in seinen Schreibtischsessel sinken und lud die beiden Inspektoren ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Ghami benutzte einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche, um den vertrockneten Kadaver einer Kakerlake von seinem Stuhl zu schnippen, ehe er sich hinsetzte.
Der Kapitän kramte in seiner Schreibtischschublade herum und angelte eine Schnapsflasche heraus. Er warf den beiden Muslimen einen fragenden Blick zu und deponierte die Flasche wieder in der Schublade, wobei er etwas Unverständliches auf Spanisch murmelte. »Okay, hier sind die Unterlagen.« Er reichte einen Aktenordner hinüber. »Wie ich schon sagte, wir haben nichts anderes geladen als leere Container für Hongkong.« Er legte einen weiteren Ordner auf den Tisch. »Die Mannschaftsliste. Eine Bande fauler undankbarer Bastarde, wenn Sie mich fragen. Wenn Sie einen von ihnen hier festhalten wollen, meinen Segen haben Sie. Und hier ist die Registrierung der
Norego.
«
Ghami blätterte die Liste der Mannschaftsmitglieder durch, informierte sich über ihre jeweilige Nationalität und prüfte sorgfältig ihre Ausweise. Die Mannschaft bestand aus einem gemischten Haufen von Chinesen, Mexikanern und Männern von den Karibischen Inseln, was mit jenen Männern übereinstimmte, die er bei der Reparatur des Steuerruders gesehen hatte. Der Kapitän selbst stammte aus Guadalajara in Mexiko. Er arbeitete seit elf Jahren bei der Trans-Ocean Shipping and Freight und führte die
Norego
seit sechs Jahren. Ghami stellte überrascht fest, dass Esteban erst zweiundvierzig Jahre alt war. Der Mann sah eher aus wie knapp sechzig.
Es gab nichts, was irgendeinen Verdacht erregt hätte, aber Ghami wollte gründlich sein.
»Hier steht, dass Sie achthundertsiebzig Container geladen haben.«
»Das dürfte auch ungefähr stimmen.«
»Sie stehen alle in den Frachträumen?«
»Diejenigen, die nicht an Deck stehen«, bestätigte Esteban.
»Ich möchte Sie nicht beleidigen, Käpt’n, aber ein Schiff wie dieses wurde nicht konstruiert, um Container zu transportieren. Ich vermute, dass es in Ihren Laderäumen genügend Stellen gibt, wo Schmuggelgut versteckt werden kann. Ich
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