Seuchenschiff
als nur ein Opfer.«
Juan nahm den Lichtstrahl von dem grässlichen Anblick weg. Sein Mund war eine harte, dünne Linie.
Die Temperatur sank, und die Luftfeuchtigkeit nahm zu, als sie tiefer in die Erde vordrangen. Allerdings war es eher der Gedanke an das Grauen, das sich hier abgespielt hatte, als die sinkende Temperatur, was Cabrillo frösteln ließ.
Der Tunnel verlief nicht gerade, sondern korkenzieherartig und gewunden, während er sich abwärtssenkte. Nach knapp einer halben Stunde und mehr als drei Kilometern nahm das leichte Gefälle ab, und sie entdeckten den ersten Nebenraum. Sein Eingang war teilweise durch herabgestürztes Gestein blockiert, und die Tunneldecke wirkte an dieser Stelle von Rissen durchzogen und drohte, jeden Moment herabzustürzen. Auch diese Höhle bot eine natürliche geologische Erscheinung, die die Japaner vergrößert hatten. Der Raum war nahezu kreisrund, mit einem Durchmesser von knapp zwanzig Metern und einer mindestens fünf Meter hohen Decke. In der Höhle war nichts Außergewöhnliches zu sehen außer einigen Bolzen in den Wänden, an denen früher Stromleitungen befestigt gewesen waren.
»Möglicherweise der Verwaltungsbereich?«, fragte Linc.
»Könnte sein, weil der Raum der höchstgelegene ist.«
Sie stießen auf zwei weitere Seitenhöhlen, ehe sie eine vierte entdeckten, in der die Japaner Gegenstände zurückgelassen hatten. In dieser Kammer waren ein Dutzend Eisenpritschen am Boden festgeschraubt, und an den Wänden standen einige Blechschränke. Während Juan die Schubladen inspizierte, untersuchte Linc die Betten.
»Ich hätte nicht erwartet, dass sie ihren Gefangenen Betten zugestanden hätten«, sagte Linc.
»In den Schubladen ist nichts.« Juan sah Lincoln an. »Und die Betten brauchten sie, weil sie ihre Opfer ruhigstellen mussten. Jemand, der absichtlich mit Typhus oder Cholera infiziert oder irgendeinem Giftgas ausgesetzt wurde, hält nicht still, sondern wehrt sich.«
Franklin zog seine Hände schnell von der Eisenpritsche zurück, vor der er hockte, als hätte er sich verbrannt.
Sie fanden vier weitere Seitenhöhlen wie diese, einige waren groß genug für bis zu vierzig Betten. Außerdem fanden sie im Haupttunnel einen in Hüfthöhe gelegenen Höhleneingang. Juan zwängte sich bis zu den Schultern in die Öffnung und stellte fest, dass die Höhle dahinter jäh abstürzte. Am Ende des Lichtstrahls seiner Taschenlampe konnte er den Höhlenboden sehen, der mit allem möglichen unidentifizierbaren Abfall bedeckt war. Dies musste die Mülldeponie der Anlage gewesen sein. Außerdem befanden sich im Abfall auch Menschenknochen. Sie waren im Laufe der vielen Jahre zerfallen, daher konnte Cabrillo nicht feststellen, zu wie vielen Leichen sie gehörten. Fünfhundert wäre eine vorsichtig geschätzte Zahl.
»Dieser Ort erinnert an ein Schlachthaus«, sagte er, als er den Kopf aus der Öffnung herauszog. »Eine Todesfabrik.«
»Und sie haben sie achtzehn Monate lang in Betrieb gehabt.«
»Ich denke, die ebenerdige Anlage diente nur dazu, die geheimen Labors hier unten, wo sie mit den schlimmen Sachen herumexperimentierten, in Betrieb zu halten. Dass sie dieses Höhlensystem benutzten, versetzte sie in die Lage, sofort alles abzuriegeln, falls es hier unten zu einer Panne kam und ein Erreger freigesetzt wurde.«
»Skrupellos und höchst effizient.« In Lincs Stimme lag jedoch kein Ausdruck der Bewunderung. »Die Japaner hätten den Nazis noch einiges beibringen können.«
»Das haben sie auch ganz bestimmt getan«, sagte Juan. Er war noch immer von dem erschüttert, was er soeben gesehen hatte. »Die Einheit 731 geht zurück bis ins Jahr 1931, zwei Jahre bevor Hitler an die Macht kam. Kurz vor Kriegsende kam es zu einem Informations- und Technologietransfer in die andere Richtung. Deutschland versorgte das Kaiserreich Japan mit Düsen- und Raketentriebwerken für seine Kamikazeflugzeuge und mit Kernmaterial für den Atombombenbau.«
Lincs Kommentar erstarb ihm auf den Lippen.
Verschluckt von der Entfernung und vom massiven Gestein, konnten sie die Explosion am Höhleneingang nicht hören. Stattdessen spürten die beiden Männer eine Luftdruckwelle ähnlich dem Fahrtwind eines vorbeirasenden Trucks. Die Responsivisten hatten den Schutthaufen entfernt und befanden sich jetzt im Tunnelsystem, um Jagd auf sie zu machen.
»Wahrscheinlich kennen sie sich in den Gängen und Höhlen bestens aus und holen schnell zu uns auf«, sagte Cabrillo grimmig. »Wir haben
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