Sex and Crime auf Königsthronen
mischte bei der Verbreitung oder Erfindung von Sudelgeschichten heftig mit und musste sich dasselbe von weltlichen Widersachern mit Krone und Zepter gefallen lassen. Manche ihrer gegenseitigen Tratschkampagnen in Sachen Sex and Crime dürften sich königliche und päpstliche Mobbingexperten selbst geglaubt haben. Auch unter den oberen Zehntausend traut(e) man der Volksweisheit: Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Wie heiß und höllisch das im Einzelfall wirklich loderte, prüfen Historiker noch heute mit wechselndem Ergebnis.
Alles, was heute privat genannt wird, war jahrhundertelang Politik. Könige waren per definitionem öffentliche Figuren, die ihr Amt und ihre Macht in allen Lebenslagen buchstäblich verkörpern mussten. Monarchen des christlichen Abendlandes legitimierten ihr Amt mit Texten der Heiligen Schrift und verstanden es als gottgegeben. Weil kaum ein Sterblicher zum Heiligen geboren ist, behalf man sich seit dem Mittelalter mit der Annahme, der Monarch habe zwei Leiber: einen unantastbaren, quasi heiligen und daneben einen irdischen, der den Anfechtungen weltlicher Sünden eben nicht widerstehen kann.
Diese gelehrte Idee ist heute schwer nachzuvollziehen, und sie überzeugte selbst die Machthaber in der Praxis nicht immer. Gehobener Klatsch gehört bei Hof zum politischen Tagesgeschäft.
Auf den Burgen des Mittelalters sind fahrende Sänger nicht nur der schönen Troubadourlieder wegen willkommen. Interesse findet auch, was sie vom Hörensagen über Sexleben, Benehmen und Fehdeabsichten anderer Festungsherren wissen. Oder vorgeben zu wissen.
Im Italien der Renaissance dienen die Palazzi adliger Patrizier und ihrer Kurtisanen als internationale Gerüchtebörsen. Diplomaten aus aller Herren Länder spitzen die Ohren, um Fehltritte peinlicher Potentaten und politische Pläne zu erlauschen, während ihre Augen und Hände mit den Dekolletés der Damen beschäftigt sind.
Am Hof Heinrichs VIII. ist im 16. Jahrhundert gar der Stuhlgang des königlichen Vielfraßes Gegenstand politischer Betrachtungen. Und nicht nur dort. Die Laune oder eine eventuell lebensgefährliche Erkrankung, die Mediziner jahrhundertelang gern an Konsistenz und Farbe von Ausscheidungen ablesen, sind keine schmutzigen Details. Mit der Gesundheit eines Monarchen steht und fällt dessen politische Beschlussfähigkeit und dessen Macht. Schließlich verkörpert er Reich und Regierung.
Der Tudor Heinrich VIII. entleert seinen Darm auf einem mit Daunen gepolsterten Toilettenthron unter vier Augen. Der anwesende Kammerherr ist ein gesuchter Informant und der Posten des Groom of the Stool ein begehrtes Hofamt beim Adel.
Bestechungsgelder ausländischer Diplomaten erhöhen den Reiz des Handlangerjobs. Allerdings kann jede weitergetragene Äußerung über Heinrichs Exkremente wegen Hochverrats mit dem Tode bestraft werden. Weshalb einige Agenten lieber beim Hofapotheker abfragen, welche Medizin der Monarch bestellt hat. Rhabarberpillen deuten auf Verstopfung, Lakritzsud deutet auf Koliken hin.
Was ein Monarch beim Toilettengang so alles fallen lässt, kann kriegsentscheidend sein. Mit wem er ins Bett steigt, kann Geschichte machen. Ist er impotent, scharren entfernte Anverwandte und Bastarde mit den Hufen, um den Wettlauf auf den Thron zu beginnen. Fremden Potentaten bietet ein schwächelnder Thronkollege die Gelegenheit für kriegerische Angriffe.
Jahrhundertelang berichten Venedigs Botschafter, Frankreichs Diplomaten, spanische Spione und Spitzel des Vatikans in Geheimbriefen gleichermaßen über Becken-, Darm- und Truppenbewegungen von Königen. Und bei passender Gelegenheit wird das Aufgeschnappte europaweit öffentlich gemacht.
Die Hofdamen und Höflinge des Sonnenkönigs Ludwig XIV. lassen sich anno 1700 beim Perückenpudern von Zofen und Coiffeuren die neuesten Skandale berichten, und sie erfinden oder tratschen selber welche weiter. Gerüchte haben im Zeitalter des Absolutismus Hochkonjunktur.
Beim Tafeln und beim Tanz wird hinter dem Fächer getuschelt. Am Schreibtisch können die Damen und Herren des Ancien Régime die Tinte kaum halten, um sich und dem Rest der Adelswelt die neuesten Skandale mitzuteilen. Man munkelt vom Mord an einem kleinen Waffelverkäufer, der sich in einem Bordell weigert, einem Bastard des Sonnenkönigs und dessen Saufkumpanen als Lustknabe dienstbar zu sein. Madame de Montespan, eine der machtvollsten Mätressen Ludwigs XIV., soll schwarze Messen abhalten, sich auf dem Altar Satanspriestern hingeben und
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