Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
Schlafzimmer hat. Ein Hotel ist für die meisten jungen Leute nicht nur zu teuer, sondern die meisten Hotels verlangen auch einen Trauschein, es sei denn, man lässt am Empfangsschalter ein hübsches Sümmchen rüberwachsen. Wenn man intim werden will, ist das Beste, was einem passieren kann, ein Freund mit eigener Wohnung oder eigenem Auto, ansonsten heißt es zurück zur Corniche, um an der frischen Luft ein bisschen rumzufummeln.
Diese materielle Abhängigkeit nimmt subtile Formen an. In einer Gesellschaft, die auf der Basis von wasta – Beziehungen – funktioniert, sind der Name und der Einfluss der eigenen Familie wichtig, um es im Leben zu etwas zu bringen. Das weiß ich aus persönlicher Erfahrung: Als meine westliche Erziehung und meine zupackende Unabhängigkeit im Kontakt mit der ägyptischen Bürokratie dahinschwanden, musste ich meine Familie einschalten, damit diese ein paar Worte für mich einlegte und ein paar Gefälligkeiten versprach, um einige Dinge zu erreichen. 65 Wie meine Großmutter zu sagen pflegte: »Wer Rückendeckung [familiäre Unterstützung] hat, wird nicht in den Bauch geboxt.«
Aber diese Bindung hat auch eine tiefe emotionale Dimension. Der Koran ermahnt Gläubige, ihre Mütter und Väter zu ehren. »Dem Menschen haben wir besonders seine Eltern anbefohlen – mit ihm war seine Mutter schwanger – Mühsal über Mühsal! –, und seine Entwöhnung dauerte zwei Jahre: Sei dankbar – gegen mich und deine Eltern! Zu mir hin ist der Lebensgang«, ist nur einer von vielen Versen zu dem Thema. 66 Studien im gesamten arabischen Raum bestätigen diese starke familiäre Verbundenheit; sie belegen das ausgeprägte familiäre Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl der jungen Menschen. 67 Wie sich der Aufstand – und die Erfahrung von Millionen junger Männer und Frauen, die auf den Straßen, Abend für Abend, der politischen Autorität die Stirn boten – auf die Beziehungen zur elterlichen Autorität auswirken werden, ist eine spannende Frage. Hurriyya (Freiheit) wurde zum Schlachtruf vieler junger Leute, die Eltern, wenn es um die Erledigung von Hausarbeiten geht, pampig antworten oder die versuchen, mehr Taschengeld herauszuholen. Für ältere Jugendliche sind dies jedoch kompliziertere Verhandlungen. Al Haq sprach für viele, die ich getroffen habe, als sie die Gratwanderung zwischen persönlicher Freiheit und ihrer Familie beschrieb. »Ich und Mama stehen uns sehr nahe. Sie glaubt an das, was ich tue, und sie bewundert mich. Aber jedes Mal, wenn ich etwas sage, was nicht so den gängigen gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht, kommt sie gleich: ›Und was ist mit der Gesellschaft? Was ist mit der Familie?‹«
Al Haq stritt tagelang mit ihrer Mutter um die Erlaubnis, von der Stadt nördlich von Kairo zum Tahrir-Platz zu fahren. »Ich wollte unbedingt dabei sein, mich meinen Freunden anschließen und sehen, was zum Teufel sie mit Ägypten anstellten. In meiner Generation hatte ich nie das Gefühl, eine Heimat zu haben. Erst die Revolution gab mir dieses Gefühl, zu einem Land zu gehören. Es war ein sehr starkes, sehr schönes Gefühl; ich war ganz versessen darauf. Ägypten gehört uns, nicht Mubarak, Ägypten gehört niemandem außer uns.« Al Haq stahl sich schließlich davon, und obwohl ihre Mutter wütend war, gab sie schließlich nach. Aber Al Haq will ihre neu gewonnene Freiheit nicht überstrapazieren. »Ich lebe mein Leben frei, und ich habe vor niemandem Angst. Ich sage Mama einfach nicht, dass ich einen Freund habe und mein Leben mit ihm genieße. Denn das würde sie sehr verletzen, und es wäre sehr schockierend für sie. Und ich will niemanden von meiner Familie verlieren.«
Nach meinen Erfahrungen sehen nur wenige junge Menschen einen Zusammenhang zwischen ihrer Rebellion gegen das Staatsoberhaupt und einer offenen Herausforderung der eigenen Familienoberhäupter – zumindest noch nicht. Aber einige stellen diese Verbindung durchaus her. Tarek Salama ist ein Journalist, der zum Streiter für sexuelle Rechte wurde – nicht gerade ein populäres Thema in Ägypten. »Am 25. Januar bin ich zum ersten Mal in meinem Leben auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Ich habe immer gedacht, Proteste brächten nichts.« Aber die Ereignisse des Jahres 2011 haben sein Leben in beruflicher wie persönlicher Hinsicht verändert. »Für mich als Aktivisten gibt es viele Entscheidungen, die zu treffen ich vor dem 25. Januar nicht gewagt hätte, wegen der Politik, wegen der
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