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Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Titel: Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shereen El Feki
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braucht eine gesellschaftliche Revolution, keine sexuelle.« Er schüttelte erneut den Kopf. »Nein, nein, nein. Nicht in hundert Jahren.«
    In der arabischen Welt leben schätzungsweise 100 Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 29 Jahren; sie stellen fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung in der Region, so dass der Jugendüberschuss hier zu den höchsten weltweit zählt. 1 Die politischen und ökonomischen Missstände, die die arabische Jugend beklagt, sind kein Geheimnis, und ihre Unzufriedenheit hat sich seit 2010 in der gesamten Region in Protesten entladen. Doch über ihr Intimleben und ihre sexuellen Wünsche ist noch immer sehr wenig bekannt. In Ägypten ist eine Minderheit von Frauen und Männern im Teenageralter und mit Anfang zwanzig verheiratet (beziehungsweise verheiratet worden); angesichts des gesellschaftlichen Drucks auf Paare, Nachwuchs zu zeugen, kann man mit Sicherheit annehmen, dass sie Sex miteinander hatten und haben. Was die Singles treiben, die die große Mehrzahl der Jugendlichen stellen, liegt dagegen weitgehend im Dunkeln, denn es ist nicht leicht, unverheirateten jungen Ägypterinnen und Ägyptern Fragen über ihr Sexualleben zu stellen. Ich weiß das, weil ich es versucht habe.
    Im Jahr 2009 führte der Population Council, eine internationale Forschungsgruppe, eine Umfrage in Ägypten durch, an der über 15.000 Personen im Alter zwischen 10 und 29 Jahren teilnahmen; die Mitarbeiter der Organisation gingen von Tür zu Tür und stellten Fragen über Schule/Studium und Familienleben, Arbeit und Freizeitaktivitäten. Sex war einer der Aspekte, die das Council erforschen wollte, und so schloss ich mich einem Team an, das den Fragebogen erarbeitete. Einheimische Jugendexperten gaben uns eine lange Liste mit Themen, zu denen sie sich gesicherte, landesweit repräsentative Daten wünschten.
    Wie viele Jugendliche masturbierten regelmäßig? Wie häufig besuchten sie Sex-Sites im Internet? Wie viele machten Telefonsex? Wussten sie, wo man zuverlässige Hilfe und Informationen über sexuelle Gesundheit erhielt? Wie viele tauschten Sex gegen Geschenke oder Geld? Und wie stand es mit homosexuellen Beziehungen? Wirklich alles, was man wissen wollte, sich aber normalerweise nicht zu fragen traute.
    Wir entschieden uns für eine indirekte Herangehensweise: Statt junge Menschen nach ihren eigenen sexuellen Erfahrungen zu fragen, bezogen wir Fragen über ihre engen Freunde ein, in der Hoffnung, dies würde zumindest ein statistisches Fenster hinsichtlich der Größenordnung vorehelicher Beziehungen öffnen. Aber letztlich ging auch dies schon zu weit; die Regierung, die Haushaltsbefragungen genehmigt und durchführt, ließ keine Fragen über voreheliche sexuelle Aktivitäten zu, mit einer Ausnahme: »Haben Sie von einem Mädchen/Jungen in Ihrem Alter gehört, das/der eine Beziehung zu Jungen/Mädchen hat?« Leider war diese Formulierung so vage, dass sie keine aussagekräftigen Ergebnisse lieferte.
    Wieso aber sollten sich Beamte die Mühe machen, Fragen nach den sexuellen Aktivitäten von Jugendlichen zu zensieren? Mir fallen wenigstens zwei mögliche Erklärungen ein. Da ist zum einen die Tatsache, dass vorehelicher Geschlechtsverkehr im Islam verboten ist. Der Koran ist in diesem Punkt ganz eindeutig: »Wer keinen Ehevertrag zustande bringt, der sei enthaltsam, bis Gott ihm reichlich von seiner Huld zuteilt.« 2 Die gängige islamische Antwort auf sexuelle Entbehrung besteht in der Empfehlung, ein bisschen zu hungern, um den Geist zu konzentrieren und die Libido zu dämpfen. Solche Anweisungen gehen direkt auf einen Hadith zurück, worin der Prophet Mohammed den Ratschlag erteilt. »O ihr jungen Leute, wer von euch in der Lage ist, den Pflichten der Ehe nachzugehen, der soll heiraten; denn dies hilft, die Blicke [zu anderen Frauen] zurückzuhalten und die Keuschheit vor Schändlichkeiten zu wahren. Wer aber dies nicht zu tun vermag, der soll fasten; denn es ist eher für ihn ein Schutz [vor sündhafter Handlung]!« 3 Angesichts der frühen Eheschließung in vergangenen Zeiten meinte der Prophet allerdings das Fasten für ein paar Wochen, nicht Enthaltsamkeit bis jenseits der zwanzig oder gar darüber hinaus. »Die Grundsätze der Scharia sind die Hauptquelle der Gesetzgebung«, wie es in der alten ägyptischen Verfassung hieß, die nach dem Aufstand außer Kraft gesetzt wurde, und das politische Gerangel um die neue Verfassung macht es unwahrscheinlich, dass diese Vorschrift abgeschwächt wird

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