Sexy Sixty - Liebe kennt kein Alter -
redlichen Schreinern und großkotzigen Baulöwen, biederen Pensionären und Lehrern, Managern und Kapitänen.
Wir reden über Bücher, er ist wirklich sehr belesen, und zwischen den Zeilen erfahre ich, dass er seit zwanzig Jahren (seit der Scheidung) allein lebt und wirklich sehr, sehr gern wieder heiraten möchte. Sein gepflegter Weinkeller und die Federballorgien, die sich im Garten seines Häuschens in Ahrensburg abspielen, werden sicherlich helfen, eine sympathische Mittfünfzigerin anzulocken.
Wieder fühle ich mich wie auf einem anderen Planeten. Ist es Arroganz oder bin ich nie erwachsen geworden, dass ich so an einer adoleszenten Trotz- und Traumhaltung festhalte? Ich komme mir die ganze Zeit wie eine missratene, aufmüpfige Nichte von achtzehn vor, die gerade mit dem
Onkel Eis essen gegangen ist, weil die Mutti es ihm aufgetragen hat, damit er mal mit ihr redet.
Und nun muss ich brav, aber tödlich gelangweilt still sitzen und eine gepflegte Unterhaltung führen, während mein Hirn rattert, vibriert und meine Doppelleben-Teenagerstimme in meinem Inneren nachäffend sagt: »Ach wirklich, hätte ich nie gedacht.« So wie früher in der Schule, als freche Bemerkungen zum Lehrer nur in der Fantasie gewagt wurden.
Wir leben anscheinend in der Illusion, dass nur andere Leute älter werden, nur nicht wir selbst. Wer kennt nicht diese fast surreale Erfahrung, im Kaufhaus oder in einem Restaurant an einem Spiegel vorbeizugehen und rein zufällig einen schnellen Blick auf diese grauhaarige alte Person zu werfen, die seltsamerweise dort reflektiert wird, wo man gerade selbst steht? Ist es schwarze Magie, hat jemand verrückte Zauberspiegel hingestellt, sitzt man einer gemeinen Täuschung auf?
Das bin doch nicht ich! Oh doch, das bist du!
Doch es gibt Unterschiede, darauf bestehe ich. Ich habe fürchterlich gealterte Personen meiner Generation gesehen, und es waren nicht die Falten oder grauen Haare, die mich erschauern ließen.
Es waren ihre erloschenen Gesichter, ihre immer vollen Weingläser in der Hand, ihr gieriges Ziehen an Zigaretten, ihre weichen, nach Trägheit und Selbstaufgabe riechenden Körper, die nach Konsum hungern und nie satt werden, und letztendlich ihre fehlende Neugier und Vitalität.
Endstation Sehnsucht
Auch dieses Treffen nähert sich seinem berechtigten Ende. Ich frage mich allerdings: Wieso habe ich mich so getäuscht in ihm? Die Antwort ist vielleicht: Weil wir den Blick auf den anderen nicht von dem auf uns selbst trennen können und nach Wunscherfüllung suchen.
Die Sehnsucht nach Romantik ist zweifellos zeit-, altersund geschlechtslos und treibt uns dazu, immer wieder zu glauben, zu hoffen und, vor allem, zu interpretieren.
Hat er mich nicht mit diesem ganz besonderen Blick angeguckt? War da nicht große Erregung in seiner Stimme? Und diese Sehnsucht ist auch eine große Triebfeder für allen möglichen Unsinn, auf den man reinfällt und dem man immer wieder hinterherjagt wie einem Phantom. Man will es greifen und behalten, das große Gefühl, den Mythos Liebe, endlich in den Händen halten, für immer.
Ich bin offensichtlich auch manchmal ein Opfer dieser Sehnsucht. Es gibt wohl tief drinnen ein Element, das von altmodischen Wünschen und einem traditionellen Glücksbild besetzt ist: Er muss mich nun nicht mit einem eleganten Schwung auf sein Ross hieven und in den Sonnenuntergang hineintraben, es würde schon ein Spaziergang am Ozean reichen.
Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich dieser Stimme, die an den weisen, inzwischen ergrauten, gütigen Prinzen glaubt, nicht wirklich zu viel Bedeutung beimesse, sondern ihr mit einem gütigen Lächeln mental über den kleinen Scheitel streichle.
Wie intelligent Günther ist, beweist er mit seinen launigen Abschiedsworten: »Wir sind wohl nicht füreinander bestimmt, oder?«
Guter Humor. Spricht für ihn.
Nach so einem knautschigen Kauz überfallen mich geradezu schwärmerische Fantasien. Ich will sofort so einen wie Cary Grant oder den Draufgänger Rhett Butler aus Vom Winde verweht , egal, nur irgendeinen eleganten großen Charmeur alter Schule.
Woher kommt meine Sehnsucht nach dem Altmodischen, nach Galanterie und Stil, nach Vertrautem, nach etwas, das ganz weit zurückliegt, aber nicht weit genug, als dass ich es nicht noch spüren könnte? Mein Vati.
Er sah sehr gut aus, küsste den Frauen die Hand, was sie liebten, und sagte: »Gnä’ Frau.« Sie zerflossen vor Geschmeicheltsein. Er roch nach Old Spice, hatte immer einen
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