SGK312 - Die 17 Kammern des Grauens
Larry vom Nachttisch
das Glas nahm und aus der Karaffe Wasser einfüllte. Er reichte es Sioban Hampton.
»Danke«, sagte sie mit ermattetem
Augenaufschlag.
Sie atmete mehrmals tief durch und
schien sich wirklich besser zu fühlen. Larry hielt es für angebracht, der Dame
des Hauses zu erklären, auf welche Weise er ins Schloß gelangt war.
Sioban Hamptons Augen wurden groß wie Untertassen.
Ungläubig starrte sie den Mann an.
»Eine Frau, wie Sie sie beschreiben,
kenne ich nicht. Ein dunkler Bentley, sagen Sie, steht unten im Hof. Mit ihm
ist sie gekommen? Und sie kannte sich aus, besaß einen Schlüssel…« Sie
wiederholte wie ein Echo Wort für Wort von dem, was Larry Brent gesagt hatte.
»Was geht hier vor? Da haben wir schon die Polizei im Haus und trotzdem
ereignen sich Dinge, die jeder Vernunft widersprechen. Inspektor McCraine muß sofort alarmiert werden, er ist drüben im
anderen Trakt. Und ich muß Malcolm Bescheid sagen, meinem Mann. Ich weiß nicht
mehr, wo mir der Kopf steht .«
Sioban löste sich vom Türrahmen, lief zum
Nachttisch, nahm aus der oberen Schublade ein Röhrchen mit Tabletten und
schluckte sie hastig mit dem letzten Tropfen Wasser im Glas.
Larry fragte nach dem Weg in den
anderen Trakt.
Wo McCraine war, hielt sich möglicherweise auch Morna auf. Die Vermutung lag jedenfalls
nahe.
Er wollte so schnell wie möglich an
jenem Platz sein.
»Ich werde mit Ihnen kommen«, sagte Sioban Hampton bestimmt. Sie hatte ihren Schock überwunden
und zeigte, daß sie es gewohnt war, Initiative zu ergreifen. »So geht es am
schnellsten. Zuerst werfe ich allerdings noch einen Blick in das Schlafzimmer
meines Mannes, vielleicht hat er etwas gesehen, oder es ist ihm…«
Sie schluckte plötzlich und wagte das,
was ihr durch den Kopf ging, nicht auszusprechen.
Eine Tapetentür, die Larry zunächst
nicht wahrgenommen hatte, weil sie sich perfekt und unauffällig in das
Interieur einfügte, führte in ein zweites Schlafzimmer. Es hatte männlichen
Charakter. Ein besonders breites und etwas höheres Bett stand an der
gegenüberliegenden Wand. Ein rotgoldener Brokatvorhang war wie ein schützendes
Zelt über das Kopfende gespannt, links und rechts hingen goldene Lüster, in
denen echte Wachskerzen steckten.
Die roten Seidentapeten hatten eine
kräftige, aufregende Farbe. Kunstgegenstände gab es in Hülle und Fülle,
darunter eine mannshohe Uhr, die auf einem Marmorsockel stand. Das Uhrgehäuse
bestand aus einer gläsernen Kuppel, unter der die gesamte Apparatur zu sehen
war. Die Uhr zeigte alle Zeiten auf der Welt, Datum, Sonnen- und Mondstand und
die Konstellation der Planeten in dieser Jahreszeit.
Das Bett war leer.
Sioban Hampton stand da, als wäre sie zur Salzsäule
erstarrt.
»Malcolm«, sagte sie mit dumpfer,
fremd klingender Stimme, »aber das kann doch nicht sein, wieso…« Larry sah, daß
förmlich ein Ruck durch ihren Körper ging. »Er fühlte sich den ganzen Tag über
sehr schlecht, nahm starke Schmerz- und Schlafmittel. Es ist unmöglich, daß die
Wirkung schon nachgelassen hat. Er schläft dann meistens tief und fest bis in
den nächsten Vormittag hinein. Was geht hier vor ?« Sie
wandte den Kopf und sah Larry Brent ungläubig an. »Was geschieht, daß ich es
nicht mehr verstehe? Wer oder was bestimmt den Ablauf der Dinge… Malcolm… wieso
ist Malcolm weg ?« Noch während sie sprach, eilte sie
auf den Vorhang zu, der eine Nische links neben dem Bett verbarg. Sioban Hampton zerrte ihn zur Seite. Dahinter befand sich
ein Aufzugschacht, etwa einen Meter breit. Eine Tür gab es nicht. Der Lift
stand bereit.
»Malcolm kann nur diesen Weg genommen
haben, da ist etwas faul. Bitte, kommen Sie mit. Dies ist auch der kürzeste Weg
in den Stollen, den Sie sich ansehen wollten .«
Brent trat an ihre Seite. Das Schloß
steckte voller Überraschungen. Einen Lift hätte er hier nicht erwartet. Doch
andererseits paßte er zu den Modernisierungsmaßnahmen, die in den vergangenen
Jahren mit dem Bau von Solarium, Badezimmer, Heizung, Sauna und Schwimmbad
durchgeführt wurden.
Sioban Hampton drückte den untersten Knopf. Der
Aufzug glitt in den Schacht. Die rohe Schachtwand war zu sehen. Eine Tür gab es
nicht.
Es ging in den Keller hinab.
Der Lift blieb stehen.
Neben dem Aufzugsschacht gab es einen
Lichtschalter. Instinktiv wollte Sioban Hampton nach
ihm greifen, doch das war nicht nötig. Das fahle Licht schwachglühender
Neonröhren brannte. Sie hingen in regelmäßigem Abstand an der Decke
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