Shakespeare erzählt
geht sie auf Bertram zu.
»Hier bist du, mein geliebter Gemahl!« säuselt sie und umarmt ihn. »Mama und ich haben dich überall gesucht.«
»Geliebter Gemahl?« fragt der König. »Was soll das heißen?«
»Er ist mein Mann«, sagt Diana und klimpert frech mit den Augendeckeln.
»Das kann nicht sein!« empört sich der König. »Ich selbst war Zeuge, als Bertram von Roussillon Helena de Narbonne geheiratet hat. Ich war der Trauzeuge!«
Da macht Diana ihr berühmt schnippisches Gesicht und zeigt dem König den Ehering. »Den hat er mir selbst übergestreift, und dann haben wir die Ehe vollzogen.«
»Nicht so vorlaut, du Metze!« droht der König. »Diesen Ring kenne ich! Es ist derselbe Ring, den der Angeklagte seiner Braut, der lustigen, hilfsbereiten Helena de Narbonne, vor dem Altar über den Finger gestreift hat. Das aber kann nur heißen: Ihr beide, du und diese hohle Nuß da, ihr steckt unter einer Decke! Nehmt sie fest!« befiehlt er den Gendarmen. »Und übergebt die beiden dem Scharfrichter! Die Verhandlung ist geschlossen!«
Da bekommt es Diana mit der Angst zu tun. »Mama!« ruft sie. »Mama, hilf mir!«
Haben wir uns in Wahrheit nicht über das forsche Auftreten von Diana gewundert? Das ist doch gar nicht ihre Art. Daß sie so einfach in den improvisierten Gerichtssaal marschiert, direkt auf Bertram zu, mit den Hüften schaukelt, ein keckes Grinsen im Gesicht. Wie nach Regieanweisung.
Und dann: Wie hat der Vertreter der Anklage Diana und ihre Mutter in Florenz überhaupt aufgetrieben? Was steckt hinter dem ganzen Theater?
»Mama!« ruft Diana, »Mama, schnell, hol den Goldschmied, der diesen Ring geschmiedet hat!«
»Ja«, höhnt der König, »den hätte ich wirklich auch gern gesehen!«
Dianas Mutter verneigt sich vor dem König: »Wenn Ihr erlaubt, werde ich schnell vor die Tür gehen und ihn hereinbitten, er wartet nämlich draußen.«
Man darf raten: Wer ist dieser Goldschmied?
Richtig! Es ist Helena.
Vorausblickend wie eine Schachspielerin hat sie diese Komödie geplant. Und sie wundert sich nicht einmal, daß sie funktioniert. Über ihre Intelligenz hat sich Helena noch nie gewundert.
»Oh, Helena!« ruft ihr Bertram von der Anklagebank zu. »Du lebst! Wie schön ist es, dich lebendig zu sehen!«
»Warum ist das schön?« fragt sie.
Da wird Bertram vorsichtig. »Wie meinst du das, Helena?«
»Warum genau ist es schön, mich zu sehen?«
»Weil du lebst«, windet er sich, »und zu leben auf alle Fälle schön ist.«
»Das ist wahr«, sagt der König. »Dann will ich jetzt die Anklage abändern.«
»Gepriesen sei der Himmel!« stößt Bertram aus und will schon über die Anklagebank flanken und hinausgehen in die laue Frühlingsluft und frühstücken.
»Halt! Die Anklage wegen Diebstahls bleibt bestehen. Und weil es sich bei dem Diebesgut um einen Ring des Königs handelt, beantrage ich einige satte Jahre schweren Kerkers.«
»Helena!« fleht Bertram. »Hilf mir! Sag es ihm! Du weißt es doch. Ich habe den Ring nicht gestohlen.«
»Wie kommst du dann zu ihm?«
»Ich habe ihn … geschenkt bekommen … von der da.« Er zeigt auf Diana.
»Wann?«
»Als ich …«
»Als du mit ihr die Ehe vollzogen hast? In der kleinen Pension in Florenz? Freu dich, Bertram«, sagt Helena, und sie meint es weder ironisch noch zynisch, »freu dich, es wird alles gut. Nicht Diana war es, die du umarmt hast. Ich war es.«
Jetzt bleibt dem Bertram wieder der Mund offenstehen, was so unvorteilhaft bei ihm aussieht. Damit der Mund sich schnell wieder schließe, erklärt nun Helena ihm und allen anderen, welche List sie angewandt hat, um zu bekommen, was sie immer bekommen wollte.
»Erinnerst du dich an unsere Hochzeitsnacht, Bertram? Als du mir eine Rede gehalten hast? Nie habe ich so viele Worte hintereinander aus deinem Mund gehört. Da sagtest du: Die Frau, der du freiwillig den Ring über den Finger ziehst, mit der du freiwillig schläfst, die wirst du lieben. Niemand hat dich gezwungen, mir deinen Ring zu geben, niemand hat dich gezwungen, mit mir zu schlafen. In der kleinen Pension in Florenz.«
»Aber …«, sagt Bertram.
»Und«, sagt Helena.
»Was und?«
»Ich bin schwanger.«
Da sagt Bertram nichts mehr. – Ende gut, alles gut.
Hamlet
Jeder denkt bei sich: Der andere weiß mehr als ich. Aber was weiß er wirklich? Müßte ich wissen, was er weiß? Oder wäre es besser für mich, weniger zu wissen? Oder wäre es am besten, gar nichts zu wissen? Oder weiß ich ja in Wirklichkeit
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