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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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gar nichts, und alles ist nur Vermutung? Sollte ich mich also bemühen, mehr herauszufinden? – Bei den harmlosesten Gesprächen schauen sich Freunde forschend in die Augen, suchen nach Verstecktem, Verheimlichtem oder nach Einverständnis.
    Was ist los? Was stimmt nicht? Was ist hier faul? Unruhe herrscht am königlichen Hof zu Dänemark. Der König ist gestorben. Unverhofft. In seinen besten Jahren. Es gab keine Anzeichen einer Krankheit. Wird jedenfalls behauptet. Er wurde am Nachmittag gefunden, im Garten, tot.
    Der Thron ist verwaist. Das ist nicht gut. Das Land muß geführt werden. Wer tritt die Nachfolge des Königs an? Eile ist geboten. Es muß einen geben, der sich in der Verantwortung weiß, jemand, der Entschlüsse faßt, Aufgaben verteilt, den Überblick nicht verliert, delegiert. Eine starke Hand ist gefordert. Nicht was die Innenpolitik betrifft. Das Land ist friedlich. Von Unruhen ist nichts bekannt. Warum auch sollten die Menschen rebellieren? Der König war ein Mann des Ausgleichs. So gut wie alle haben von seiner Regentschaft profitiert. Wirtschaftlich hat sich Dänemark satt auf dem Markt plaziert. Gefahr droht von außen. Eben gerade deshalb, weil Dänemark so gut dasteht. Das Land hat unter dem König gewonnen, jetzt hat es etwas zu verlieren. Fortinbras, der stürmische junge König von Norwegen, hat ein Heer zusammengestellt, er will gegen Dänemark ziehen. Die gegenwärtige Führungskrise ist fatal. Darum ist Eile geboten, den Thron neu zu besetzen.
    Der logische Thronfolger wäre Prinz Hamlet, der Sohn des verstorbenen Königs. Er hat gerade sein Studium begonnen. Im deutschen Wittenberg. Die Universität Wittenberg darf von sich behaupten, eine der besten der Welt zu sein. Jeder kann also verstehen, daß Hamlet nach Deutschland geschickt wurde, um sich dort mit den Wissenschaften vertraut zu machen. Dennoch gibt es einige, die, hinter vorgehaltener Hand freilich, spekulieren, der Prinz sei nach Wittenberg geschickt worden, damit er möglichst weit weg ist. Ein Gerücht. Eben wieder so ein Gerücht! Und wenn man nachfragt, was denn ein Grund sein könnte, ihn so weit weg zu schicken, bekommt man Achselzucken und bedeutungsvolle Blicke und vorgehaltene Hände.
    Hamlet ist ein verträumter Kopf, sagen die einen, ein philosophischer Kopf, sagen die anderen, ein verspieltes Kind, sagen die dritten. In Wahrheit kennen ihn nur wenige. Er gilt als Eigenbrötler. Als Knabe habe er sich oft tagelang in seine Gemächer verkrochen, wochenlang kein Wort gesprochen, heißt es. Selten zeigte er sich gemeinsam mit Vater und Mutter in der Öffentlichkeit. Das nährte Vermutungen. Was für Vermutungen denn, um Himmels willen, fragt man. Und erntet wieder nur Achselzucken und bedeutungsvolle Blicke und so weiter.
    Keiner jedenfalls traut dem Prinzen zu, das Königreich in dieser schwierigen außenpolitischen Situation zu führen. Schon gar nicht, das Heer in einen Krieg zu führen. Es wird ihm ein Hang zur Extravaganz nachgesagt. Keiner kann genau bezeichnen, was darunter zu verstehen sei. Man hört »Tjaaaaaa …«, bis zur Atemnot gedehnt, und sieht hilflos erhobene Hände. Die präzise Rede scheint in Dänemark ausgestorben zu sein.
     
    Claudius, der Bruder des verstorbenen Königs, fällt schließlich eine Entscheidung. Er setzt sich auf den Thron von Dänemark.
    »Ich habe mich entschlossen.«
    Jeder begrüßt das. Daß da einer ist, der entscheiden kann und es auch will, macht ihn in den Augen der Bürger zum kompetenten Nachfolger des Königs. Die Menschen haben genug von den Zweifeln, genug von den Gerüchten, genug von all der Unter- und Hintergründigkeit. Ganz egal, was geschieht, Hauptsache, es geschieht etwas. Claudius wendet ja nicht Gewalt an. Er verkündet schlicht: »Ich bin von nun an König!« Nicht: »Ich möchte werden … « Oder: »Ich schlage vor …« Nicht einmal: »Ich will!« Sondern: »Ich bin.« Das tut gut. Niemand erwartet, daß er seinen Entschluß begründet. Claudius traut man zu, den Krieg gegen Fortinbras zu führen und zu gewinnen.
    Die Bürger sind erleichtert. Der Humor kehrt zurück.
    »Stell dir vor, der Hamlet wäre gegen den Norweger angetreten! Dann war aus dem Krieg ein Seminar geworden!«
    »Der hätte zu dem Fortinbras gesagt, er soll ihm erst definieren, was Krieg ist.«
    »Und wenn der Norweger sich geweigert hätte?«
    »Dann hätte sich der Hamlet geweigert, am Krieg teilzunehmen.«
    »Ha, ha!«
    Claudius genießt die Sympathie des Volkes.
    Das heißt, er

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