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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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gab. »Von wegen ... Wenn der die Schleifhexe nur hört, geht er durch; das sehe ich an den Augen. Neue braucht er, orthopädische; dreihundert Euro. Aber vorher lässt du ihn sechs Wochen im Sägemehl stehen, schön feucht.« Ächzend richtete er sich auf und zog einen Flachmann aus der Tasche. »Wie heißt denn der Gaul?«
    »Frag Freddy.«
    Der andere, nach einem kräftigen Schluck, verzog das Gesicht. Kahl war er und hatte weiße Koteletten. »Wen? Wer ist das?«
    »Wie, wer ist das? Bist du jetzt auch schon senil?«
    »Was hat denn das mit meinem Alter zu tun? Werd nicht gleich beleidigend, Wolle. Ich will doch nur wissen, wie der Gaul heißt.«
    »Und was sagte ich gerade? Frag Freddy!«
    Die Wangen gebläht, stellte der Schmied die Flasche auf den Estrich, trat an einen Hinterlauf und hob ihn schneller an, als der Hengst zusammenfahren konnte. Er klemmte sich den Huf zwischen die Oberschenkel, zog ein Messer aus der Schürzentasche und schnitt etwas Mist aus dem Strahl. »Aber ich kenn doch gar keinen Freddy! Früher, in Hamburg, da gab’s diesen Schlagersänger, meine Mutter war ganz verrückt nach dem. Ich kriegte immer Sodbrennen von dem Schifferklavier.« Er stutzte, machte ein paar hebelnde Bewegungen mit der Klinge. »Nun guck dir das an, hier hat er Spikes! Das ist ein Winterpferd, oder was. Und locker sind die auch ...«
    In hohem Bogen flogen vier, fünf krumme Nägel auf den Estrich, und einen Moment lang dachte ich, es wäre das jähe Geräusch, ein spitzes Klirren, das dem Hengst diese Schauer über das Fell jagte, immer wieder; er hob und senkte den Kopf, wobei ihm die Mähne ins Gesicht schlug. Doch dann wurde es auch in den angrenzenden Boxen unruhig; eine Art Röcheln war zu hören und plötzlich ein Knall, der offenbar von einem Tritt herrührte. Die Zwischengitter schepperten, und Wolf, der das Halfter losgelassen hatte, um sich mit dem Schmied über den Huf zu beugen, blickte sich um.
    Ich kann nicht sagen, dass ich Angst fühlte, jedenfalls nicht sofort, als der Hengst sich in Bewegung setzte. Mit seinen geweiteten Nüstern, dem steil gebogenen Hals und der bugartig sich vorwölbenden Brust kam er mir eher malerisch vor, ein Inbild der Kraft in dem kurzen Moment zwischen Schreck und Starre. Aber dann, die Ohren flach an den Kopf gelegt, stieg er plötzlich kniehoch, immer wieder, wobei der Estrich unter den Hufen klang, als wäre er hohl. Die Schweifwurzel stand senkrecht, die Haare fächerten sich auf, und das stiere Schwarz seiner Augen verdichtete sich vollends zu einer rot geränderten, vom Deckenlicht durchblitzten Essenz des Bedrohlichen, als Wolf fast donnernd schrie: »Du blöder Sack, bist du besoffen?! Ich hab gesagt, der Gang bleibt frei!«
    Wen immer er damit meinte, ich konnte es nicht sehen. Der Hengst, dem schaumiger Speichel aus dem Maul troff, kam näher, und als ich später Karin davon erzählte, widerstand ich der Übertreibung, das große Tier hätte mich zu Fall gebracht, nur mit Mühe. Dabei hatte es mich gar nicht gestreift, oder bloß an den Knöpfen, und ich war bei dem Versuch, meine Füße vor den hämmernden Hufen in Sicherheit zu bringen, in die Laufschiene einer offenen Boxentür geraten und umgeknickt, mehr nicht. Außerdem fiel ich ziemlich weich, und ob man das Geviert nun frisch ausgestreut hatte ... Der Mantel war ohnehin tiefbraun.
    Auch die verpflasterte Kanüle an meinem Unterarm, das fühlte ich, war unversehrt und saß korrekt, und ich weiß nicht, was sich weiter tat auf dem Gang. Dem Stimmengewirr, dem Wiehern schrill wie Reifenquietschen und dem Trappeln und Stampfen zufolge entstand ein kurzer Tumult, bei dem irgend etwas Gläsernes zersprang; Scherben glitten über den Estrich. Dann führte der Schmied den Hengst, der immer noch wütend die Augen verdrehte, im Laufschritt an der Box vorbei, und ich kam auf die Knie und zog mich an einer Raufe hoch.
    Entschuldigungen murmelnd, zupfte Wolf mir Strohhalme und Quetschhafer vom Kragen, und obwohl ich inzwischen viel magerer war und sicher nicht mehr derselbe nach den vielen Therapien der letzten Zeit, gab es mir doch einen Stich, dass er mich nicht erkannte. Vielleicht hielt er mich ja für einen Besitzer der teuren Tiere, oder für dessen Anwalt, immerhin trug ich eine Krawatte, und während in den Boxen ringsum wieder Ruhe einkehrte und ich in meinen verlorenen Schuh schlüpfte, musste ich daran denken, dass es meistens der Arglose ist, der das schlechtere Gedächtnis hat.
    »Tut mir wirklich

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