Shampoo Planet
mir, das zuzugeben. Sei ein bißchen nachsichtig.«
»Du wirst mir etwas Zeit lassen müssen, Tyler. Du warst gemein zu mir. Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll, Tyler. Ich weiß nur, was ich empfinde. Insofern bin ich im Zwiespalt.« Anna-Louises Stimme nimmt wieder diesen Gleich-le-ge-ich-auf-Ton an. »Okay, du hast Bewährung. Das ist alles. Ich weiß noch nicht wegen des Mittagessens. Ich muß es mir überlegen.«
»In zwölf Tagen gehe ich nach Seattle. Gleich nach Weihnachten.«
»Bedräng mich nicht, Tyler.« »Sprechen wir noch einmal darüber?« »Du hast Bewährung.«
63
Mark und ich sind im Wohnzimmer und schnipsen mit Nagelscheren Stoffknötchen von den schwarzen Orion-Bezügen auf Jasmines blasenförmigen quadrophonischen Stereo-Lautsprechern aus den 70ern. Von Zeit zu Zeit kommt Jasmine aus der Küche hereingeschwebt, um uns anzustrahlen, wortlos glücklich, mich wieder daheim zu haben. Seit sie mich vor drei Tagen vom Greyhound-Busbahnhof abholte, hat sie nicht einmal auf meine Abwesenheit angespielt und sich statt dessen entschieden, die zwei Wochen, die ich zu Hause sein werde, ungetrübt vom Makel jüngster Vergangenheit zu genießen, diese zwei Wochen über Weihnachten, ehe ich nach Seattle ziehe und zum Bechtol-Team stoße.
Während Mark und ich unsere Aufgabe erfüllen, setzt er mich über eine Comic-Geschichte ins Bild, die er gerade für den Englischunterricht in der Schule zeichnet. »Sie heißt: ›Die Fleischlinge‹. Und sie geht so: Alle Tiere auf der Welt sind verärgert. Sie gehen in den Untergrund, weil sie versuchen wollen, einen geheimen Schatz, der ihnen vor langer Zeit von den Menschen gestohlen wurde, wiederzuerlangen. Sie verkleiden sich als menschliche Wesen und nennen sich Fleischlinge.«
Mark zeigt mir seine Zeichnungen, während ich weiter die Knötchen abschnipse. Seine gezeichneten Fleischlinge tragen lächerlich schlechte Kostüme: Kleine Flügel und Schwänze sprießen aus schlecht geschneiderten Anzügen heraus, aus schlaff herabhängenden Latexnasenlöchern lugen Schnabelspitzen hervor, dreieckige Ohren stehen hoch aufgerichtet unter schiefen Perücken auf dem Kopf, badende Schöne in Bikinis sind mit pelzigen Pranken versehen.
»Was dann aber geschieht, ist, daß diese Tiere, die Fleischlinge, während sie nach dem Schatz suchen, unweigerlich beginnen, ein menschliches Leben zu führen. Sie können gar nichts dagegen tun. Die Füchse fangen an, an der Wall Street zu arbeiten. Die Hunde schlagen ihre Zeit in Bars tot und trinken Cocktails und gucken ›Außersinnliche Wahrnehmungen^ Stille Giraffen werden Flugzeugpiloten. Die Schafe machen gar nichts.
Währenddessen haben die Menschen alle Hände voll zu tun, um das Chaos abzuwenden, das daraus resultiert, daß die Fleischlinge mitten unter ihnen leben. Sie müssen mehr Polizisten einstellen, Garküchen einrichten, Sozialarbeiter ausbilden und ständig aufregende, aktionsgeladene Fernsehserien-Pilotfilme erfinden.«
»Und was passiert dann?«
»Die Menschen erfahren von den Fleischlingen unter ihnen und kommen zu dem Schluß, daß sie jetzt in den Untergrund gehen müssen, um mehr darüber herauszufinden, was die Tiere aushecken. Also beginnen sie nun ihrerseits, sich als Tiere zu verkleiden.«
»Und?« Schnipp, schnipp.
»Geschichte wiederholt sich. Statt daß die Menschen in ihren Tierkostümen wie die Tiere werden, werden sie noch menschenähnlicher. Sie fangen an, die anderen Tiere in Gruppen und politische Parteien einzuteilen. Sie umzäunen kleine Stücke Land und säen Getreide aus und geben allen Tieren Namen und entwerfen Zwölf-Stufen-Programme, um die kleinen Kreaturen aus ihren Tiefen zu holen.« »Wie geht das Ganze aus?«
›Am Ende haben sowohl die Menschen als auch die Tiere vergessen, wonach sie zu Anfang gesucht hatten - sogar, warum sie diese Kostüme überhaupt anhaben. Trotzdem tragen sie ihre Kostüme weiter. Ganz am Ende gibt es nur noch eine kleine Geheimgesellschaft aus Menschen und Tieren, die sich an die Suche nach dem vor langer Zeit gestohlenen Schatz erinnern.«
»Großartiges Potential für Fortsetzungen, Mark.«
»Danke.«
Als wir mit dem Abschnipsen der 70er-Jahre-Lautsprecher fertig sind, bürsten wir sie mit meiner Zauber-Striegelbürste ab und stellen sie zurück in die Ecken des Wohnzimmer. Mit einem feuchten Handtuch entstaube ich die Lautsprecherstützen, und sie sehen beinahe neu aus.
»Sie sehen toll aus, nicht wahr, Mark?«
»Ja«, sagt er,
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