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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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KAPITEL
    Sie betrachtete mich mit ihrem eigentümlichen Blick. Neugierig, kritisch, abschätzend. Dann gab sie mir ein Zeichen, ich solle mich setzen. Sie setzte sich mir gegenüber auf den Klavierhocker, den sie beim Sprechen langsam hin und her drehte.
    »Wie kommst du darauf?«
    Ich zwirbelte eine Strähne um meinen Finger.
    »Die Geister«, sagte ich.
    Sie hatte einen fragenden Ausdruck im Gesicht.
    »Sie kamen wie Vögel«, sagte ich leise. »Sie waren überall. Es sah schön aus.«
    Sie runzelte leicht die Brauen
    »Du willst sagen, es hörte sich schön an?«
    »Nein, es sah schön aus.«
    Die bernsteinfarbenen Augen ließen von mir nicht ab.
    Auf ihrer Wange war ein Schatten, als lächelte sie.
    »Tja, bevor es schön aussieht, musst du viel üben.«
    »Das macht nichts.«
    »Hast du eine eigene Geige?«
    Daran hatte ich nicht gedacht. Mein Herz krampfte sich zusammen.
    »In den Ferien arbeite ich an der Tankstelle. Ich spare das Geld und kaufe mir eine Geige. Kann ich sie auf Raten zahlen wie ein Motorrad?«
    Sie betrachtete mich immer noch sehr genau und intensiv.
    »Ich denke schon«, antwortete sie im nüchternen Tonfall. »Aber vielleicht hast du bis dahin keine Lust mehr.«
    »Nein«, sagte ich, »das ist es, was ich später machen will.«
    »Was denn?«
    »Das. Musik machen.«
    Sie schüttelte leicht den Kopf.
    »Das ist nicht so einfach, junge Dame.«
    Ich knetete meine Finger.
    »Wenn Sie mich unterrichten … kann ich Sie auch auf Raten zahlen?«
    Jetzt stieg ein Lachen in ihre Augen.
    »Wie ein Motorrad?«
    Ich wurde ein wenig rot.
    »Weil beides zusammen zu teuer für mich ist, bloß deswegen.«
    Die Schulglocke läutete. Lela erhob sich, nahm ihren Geigenkasten und legte mir kurz die Hand auf die Schulter.
    »Komm morgen um drei zu mir. Du weißt ja, wo ich wohne.«
    Sie entfernte sich und ich blickte ihr hingerissen nach. Sie setzte beim Gehen die Zehen leicht einwärts, was ihr diesen geschmeidigen Schritt gab.
    Den Rest des Tages verbrachte ich in einer Art Wachtraum. Es dauerte Stunden, bis das Musikstück in meiner Erinnerung verklang. Immer noch sah ich die Flammenvögel vor mir. Sie zogen vorüber wie ein unruhiges Bild und verblassten ganz allmählich. In der Nacht konnte ich nicht schlafen. In mir war ein ungeheures Glühen. Elliot war nicht zu Hause. Er kam gegen vier, programmgemäß betrunken, polterte in sein Zimmer, warf sich aufs Bett. Ein paar Mal schmiss er sich hin und her, dann hörte ich seine schlürfenden Schnarchtöne. Er schlief noch, als ich mir einen Kaffee machte und zur Schule ging. An diesem Morgen hatten wir Erdkunde und Geschichte. Ich ließ mich von der Zeit treiben und verstand kein Wort. Meine inneren Augen suchten das erloschene Bild wild flatternder Vögel. Die Vögel existierten nur in meiner Phantasie, doch konnte ich mich nicht mit etwas anderem befassen.
    Die Kirchenuhr schlug drei, als ich den Weg entlang zu Lelas Haus ging. Der Wind wehte in kleinen Wirbeln, die Wolken, tief am Himmel, zeigten eine mattgrüne Farbe. Das Haus, kaum hundert Meter von dem Wasserlauf entfernt,war aus gutem, solidem Holz, mit einer Veranda und blau gestrichenen Läden zum Schutz gegen die Herbststürme. An der Wand standen Blumentöpfe, daneben ein Fahrrad. Lelas Geländewagen parkte vor dem Tor. Ich stieß den Riegel auf und ging den Kiesweg entlang auf das Haus zu. Im Garten standen alte Obstbäume, Sträucher und Blumen wuchsen ungezwungen und verschlungen. Einige Wespen, die ihr Nest an der Unterseite der Dachrinne bauten, summten nervös im Wind. Als ich die Steinstufen zur Veranda hinaufging, öffnete Lela die Haustür. Sie musste mich vom Fenster aus gesehen haben.
    »Du bist pünktlich«, stellte sie lächelnd fest. »Für gewöhnlich haben es die Schüler nie eilig.«
    Ich fragte befangen: »Störe ich Sie?«
    »Keineswegs, ich habe dich ja erwartet. Komm doch herein!«
    Scheu ging ich über die Veranda, ließ meine verstaubten Schuhe draußen stehen und trat auf Socken ins Haus. Auch in der Diele war Holz als Täfelung angebracht, an der Wand tickte eine Standuhr. Es roch angenehm, nach Bohnerwachs und Zimtkuchen. Lela öffnete eine Tür. Ich betrat ein großes, altmodisch eingerichtetes Wohnzimmer mit schweren Möbeln, einem gusseisernen Heizofen, Spitzenvorhängen und alten Teppichen. Die Tapete hatte ein kompliziertes Blumenmuster. Die große Stehlampe aus Messing war offenbar neu und an den Wänden hingen verschiedene Bilder und Fotografien.
    »Die Großeltern

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