Shane - Das erste Jahr (German Edition)
konnte sich nur dunkel daran erinnern, sie waren einmal dort gewesen, in den Ferien bevor sie zur Schule gegangen war. Damals war sie beeindruckt von den riesigen Bäumen gewesen, deren mächtige Kronen schwarz und zittrig in den Himmel ragten. Shane schluckte wieder. Der Brand.
Sie schaute erneut auf das Papier. Hinter dem Park, schräg dahinter lag die Bibliothek. Shane runzelte die Brauen. Die Bibliothek lag im zweiten Kreis. Sie hätte die Mauer gar nicht durchqueren müssen. Sie lief schneller. Die Straße entlang der Mauer war lang, viel länger als die anderen, Shane konnte es auf dem Stadtplan erkennen.
Sie musste weit laufen, bevor eine weitere Straße ins Stadtinnere abzweigte. Shane schaute in den grauen Himmel. Sie lief noch schneller. Der Park erstreckte sich zu ihrer Linken, genau gegenüber der Stadtmauer lag er, Shane versuchte zwischen den Bäumen hindurch zu schauen und das Wasser zu erblicken.
Sie konnte sich an einen kleinen See mit einer Brücke darüber erinnern.
Sie lächelte. Wie gern würde sie schnell nachschauen, ob das Wasser gefroren war.
Lautes Lachen und Geschrei drangen aus dem Park zu ihr herüber. Bestimmt liefen Kinder auf dem gefrorenen Wasser Schlittschuh.
Sie blieb abrupt stehen. Durch den Mauerdurchgang zu ihrer Linken konnte sie sie sehen. Sie lief los, schneller nun und durchquerte die Mauer erneut. Dann war sie da.
Mächtig standen sie vor ihr. Die drei Gebäude der Bibliothek. Shane überquerte die Straße und ging langsam zu dem ersten Haus. Wie ein Riese stand es vor ihr, neben sich seine zwei Geschwister, große Treppen führten hinein, davor war ein wenig Rasen zu erkennen, der nun eisig und vergilbt auf den Frühling wartete.
Shane ging mit offenem Mund weiter, schaute das zweite Haus an, versuchte einen Blick hinein zu erhaschen, neigte den Kopf und kniff die Augen zusammen, wenn Menschen heraustraten.
Das mit tlere Gebäude hatte als einziges einen Turm in der Mitte, eine Spitze, die in den grauen Himmel ragte. Sonst sahen die Häuser gleich aus. Gräulich blauer Stein, hohe langgezogene Fenster, deren Rahmen braun herausstachen; über jeder Fensterreihe ein kleiner Absatz, ein Fenstersims.
Shane fuhr mit den Augen die Außenmauer entlang.
Je vier Fenster außen, zweimal sechs Fenster in der Mitte, drei Reihen übereinander.
Shane legte den Kopf in den Nacken. „Sie sehen wunderschön aus.“ Sie hörte ihr Herz klopfen. Könnten diese Riesen aus Stein ihr etwas erzählen? Würden sie ihr etwas erzählen, das wie ein weiterer Faden durch ihren Kopf kriechen würde und Anschluss suchen würde?
Shane wurde von jemandem gestreift, der vorbei ging. „Entschuldigung!“
Shane schüttelte kurz den Kopf. Sicherlich würde sie nichts erfahren, wenn sie nur hierstehen und glotzen würde. Sie atmete tief ein und ging hinein, in das mittlere Gebäude.
Shane blieb stehen und schaute sich staunend um. Hinter ihr ging knarzend die schwere Tür zu. Sie stand in einer Halle, deren Decke sich in Bögen über sie erstreckte. Schwere Kronleuchter schwebten über hunderten von Regalen. Shane sog die Luft ein. Der Geruch war wunderbar; herb, staubig, alt und leicht modrig. Sie ging langsam vorwärts, fuhr mit den Augen über die Regale, zwischen denen Schreibtische und Sessel standen.
„Kann ich dir helfen?“ Eine junge Frau mit Brille beugte sich zu ihr herunter.
„Äh, ja. Ich suche Bücher über die Stadt.“
„Über die Stadt?“
„Ja.“ Shane nickte. „Für die Schule.“, ergänzte sie schnell.
„So so, für die Schule.“ Die junge Frau schaute nicht gerade nett.
Doofe Kuh.
„Na dann.“ Sie richtete sich auf. „Komm mit.“
Sie gingen noch weiter ins Innere der Bibliothek, bogen nach links ab und traten an eins der Regale heran. „Hier stehen die wichtigsten Bücher über die Stadt.“
„Danke.“
Die Frau blickte sich um. „Da braucht jemand meine Hilfe. Ruf mich, wenn du nicht zurechtkommst.“
„Ja.“ Sie trat an das riesige Regal heran. Sie fuhr mit den Augen über hunderte von Bücherrücken. Welches Buch sollte sie nehmen? Welches würde ihr etwas erzählen? Auf’s Geratewohl zog sie ein dickes, in Leder gebundenes Buch, welches in ihrer Höhe stand heraus.
Sie schlug es auf.
Shane’s Augen weiteten sich. Im inneren Einband erkannte sie ein Bild von der Stadt, von der Stadtmauer, darunter stand: 1934.
1934. Das war lange vor dem Brand. Shane blätterte zur ersten Seite. Sie runzelte die Stirn.
Was war das denn für eine
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