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Shane - Das erste Jahr (German Edition)

Shane - Das erste Jahr (German Edition)

Titel: Shane - Das erste Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia von Rein-Hrubesch
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der denkbar schlechteste Zeitpunkt dafür!“
    „Mark! Wenn ich ihr jetzt verbiete in die Stadt zu gehen, hab ich sie endgültig verloren!“ Die Mutter sah ihren Sohn bittend an. „Kann sie nicht zu dir in den Laden kommen, wenn es dunkel ist?“
    Mark blickte entgeistert. „Spinnst du? Ich schleppe dort Kisten durch die ganze Stadt, ich komme so kaum hinterher, da soll ich auch noch den Babysitter für meine kleine Schwester spielen?“
    Die Mutter schwieg. Mark schüttelte den Kopf. „Es geht einfach nicht.“ Er blickte aus dem Fenster. „Sie soll sich nicht im inneren Kreis rumtreiben und vor Dunkelheit nach Hause gehen. Das müsste reichen.“
     
    Shane stand vor dem Zirkuszelt. Sie schaute es lächelnd an. Wie zärtliche Finger fuhren ihre Augen die rote Haut entlang.
    Sie schaute auf die Uhr. Es war 14.30 Uhr. Um 16.30 Uhr würde die Dämmerung beginnen. Sie schauerte. Dämmerung. Dieses Wort hatte die Lindenbaum heute erwähnt. Dieses Wort beginnt mit D!
    Ätzend. Shane schüttelte sich leicht. Diese verdammten Buchstaben! Ständig standen sie ihr im Weg. Sie blickte wieder auf das Zelt auf der anderen Straßenseite und seufzte. Sie stellte sich vor, wie sie sich auf der runden Kugel, die nun ihre Freundin war, durch die Manege bewegen würde. Mit einer Leichtigkeit war ihr das in den letzten Tagen geglückt, sie stellte sich vor, wie dieses wunderbare Gefühl durch sie strömen würde, ein Gefühl, nach dem sie sich sehnte. Sie fühlte sich frei.
    Rotbein schaute immer mal in ihre Richtung; wenn er zu ihr kam, schwafelte er immerzu etwas vom Gleichgewicht, und dass sie ihre innere Mitte finden müsste; sie müsste ihre innere Mitte finden, sonst würde sie abstürzen.
    Shane begriff wohl, dass er nicht den Ball oder den Zirkus meinte, sondern irgendetwas anderes, etwas großes, verschwommenes; etwas, dass wie die vielen Buchstaben verwirrend durch ihren Kopf schwirrten.
    In ihrem Kopf hatten sich Fäden gebildet. Ein paar Fäden hatten begonnen, zueinander zu finden. Sie krochen wie Würmer aufeinander zu. Der Faden mit den schwarzen Augen hatte sich mit dem mit den Alpträumen verwoben; der mit dem gegen den Spind knallenden Rambo sich mit dem mit der dunklen Gasse versponnen; der mit dem reißenden Kiefer mit dem mit der nächtlichen Badezimmerszene. Shane beobachtete das Knäul aus sicherer Entfernung, versuchte Abstand zu halten; und hatte doch die Hoffnung, dass sie irgendwann auf ein fertiges Muster blicken konnte, auf ein fertig gewebtes Bild, auf einen gewebten Teppich, der ihr eine Geschichte erzählen würde. Ihre Geschichte.
    Solange müsste sie warten. Warten, und dabei das tun, was sie tun musste. Sie musste Opfer bringen. Opfer … So wie jetzt.
    Shane seufzte. Sie schaute noch ein letztes Mal auf das riesige Zelt dort drüben. Dann drehte sie sich um und setzte sich in Bewegung, lief an der Flamme vorbei, wanderte mit den Augen an deren Stamm hinauf, wie immer, doch nun war ihr Blick anders, nun, da die Flamme ihr etwas erzählte.
    Shane griff sich an den Kiefer. Er schmerzte. Shane griff in die Manteltasche und zog eine bunte Schlange hervor. Sie wickelte sie aus dem Papier und steckte sie in den Mund.
    Shane hielt den Mantel etwas auf und blickte auf die zahlreichen Schnallen. In einer steckte das Papier, welches ihr die Mutter gegeben hatte, der Stadtplan; Shane zog ihn heraus, den Bleistift und den Radiergummi in der Schnalle nebenan ließ sie stecken.
    Sie faltete das Papier auseinander und verglich die abgebildeten Linien mit den Gassen, in denen sie lief.
    Sie nickte leicht. Alles war gleich.
    Shane lief zügig weiter, sie wanderte durch den Mauerbruch, ging einen bekannten Weg, schaute sich manchmal um; oder auf das Papier, stand dann bald vor einem kleinen eisernen Tor.
    Der Boden war gefroren. Ihre weißen Stiefel rutschten leicht über die Stellen, die vorher Pfützen gewesen waren; Shane ging den kleinen abschüssigen Weg hinunter, der sie durch den Hinterhof führte, trat dann zwischen zwei Häusern hindurch und stand direkt vor dem Mauerdurchgang.
    Shane blickte nach oben. Wie ein Torbogen umgab sie das Loch in der Mauer. Shane ging hindurch, schaute nach oben und zu den Seiten, schaute zu, wie die Steine, diese uralten Steine an ihr vorbei glitten und stand dann auf der anderen Seite, im Inneren der Stadt.
    Ihr Herz klopfte. Sie hielt das Papier in ihrer Hand fest umklammert.
    Shane rollte es wieder auseinander und hielt es sich vor die Augen.
    Dort vorn war der Park. Sie

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