Shanera (German Edition)
etwas weniger steil, aber das Fortkommen gestaltete sich trotzdem zusehends mühsamer. Immer mehr Geröllhalden, Felstrümmer und von Buschwerk zugewucherte Stellen mussten durchquert werden. Zum Glück lag der Weg nun schon wieder im Schatten, so dass die Temperatur angenehm war.
Shanera überlegte inzwischen, ob sie ihr Nachtlager noch innerhalb des Risses aufschlagen sollte. Am oberen Ende des Rissweges gab es zahlreiche Höhlen und Überhänge. Sie kam weniger gut voran als gedacht. Die Kletterei und die Benutzung dieses eher selten begangenen und schlecht gepflegten Weges hatten viel Zeit gekostet.
Sie konnte das Hochplateau zwar noch vor dem Abend erreichen, aber in unmittelbarer Umgebung des Rissendes gab es keine guten Lagermöglichkeiten. Auch bestand die Gefahr, dass ein Feuer dort von einer anderen Gruppe gesehen wurde, die einen der Risswege benutzen wollte und in seiner Nähe rastete. Andererseits wollte sie natürlich möglichst viel Entfernung zwischen sich und ihr Dorf oder mögliche Suchtrupps bringen.
Auch das Wetter war ein Unsicherheitsfaktor. Es waren Wolken aufgezogen und sie konnte aus ihrer Position nicht erkennen, wie viel mehr davon im Anzug waren. Sie beschloss, möglichst rasch weiterzugehen und am Ende der Schlucht zu entscheiden, ob noch genug Zeit war, ein Stück ins Hochland vorzudringen.
Ihre Gedanken wanderten wieder zum Dorf zurück. Sie hatte lange mit sich gerungen, ob sie den schwerwiegenden Schritt ihrer Flucht wirklich durchführen sollte. Aber die geistige und soziale Enge der kleinen Gemeinschaft war ihr im Laufe der Zeit immer unerträglicher erschienen.
Selbst mit ihrer Freundin Zela konnte sie darüber nicht frei sprechen, um so weniger mit anderen. Die schienen sich alle mit der Situation arrangiert zu haben und trachteten nur danach, eine gute Position im sozialen Gefüge zu ergattern. Oder sie waren sogar mit weniger zufrieden, solange sie ihre Handlungen und Gedanken vorgekaut bekamen und ein einigermaßen sicheres Auskommen hatten. Und dafür war gesorgt, dank des Systems der gemeinschaftlichen Verwaltung aller wichtigen Vorräte und der straffen Organisation des Dorflebens.
Es war nicht so, dass direkte Zwangsmaßnahmen nötig gewesen wären, um diese Ordnung aufrecht zu erhalten. Das Dorf war zu klein, um ein nennenswertes Potential an Unruhestiftern und Querdenkern zu haben. Aber wer sich nicht anpassen wollte, hatte überall Nachteile. Es gab keine Ausweichmöglichkeit, denn die Dörfer in der näheren und weiteren Umgebung folgten alle den gleichen Prinzipien. Das System hatte sich bewährt, um in einer schwierigen Umwelt zu überleben. Aber es war statisch und bot keine Entwicklungsmöglichkeiten. Für jemanden wie sie war es ein Käfig.
Sie beschleunigte ihren Schritt. Der Wind frischte auf.
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Wie befürchtet, hatte Zelas magerer Bericht die Stimmung der Älteren nicht gerade zu ihren Gunsten gewendet. Sie konnte nichts Konkretes vorweisen und hatte Shaneras vermuteten Weg auf das Hochplateau nur als eine unsichere Möglichkeit dargestellt. Sie wollte nicht, dass die Anführer eine Gruppe erfahrener Jäger hinter ihrer Freundin her schickten. Das würde aber passieren, wenn sie glaubten, deren Ziel mit ausreichender Sicherheit zu kennen.
Ihr Vorschlag, selbst mit Koras auf die Suche zu gehen, wurde sehr zurückhaltend aufgenommen. Man traute ihr nicht zu, Shanera zu finden, und war gleichzeitig misstrauisch ob ihrer Beweggründe. Ketarnas stellte kaum verhohlen ihre Treue zum Dorf in Frage, da sie ihre Freundin nicht aufgehalten habe.
Erst als Zela auf ihre mühevolle Templerausbildung verwies, deren erfolgreichen Abschluss sie wohl kaum aufs Spiel setzen würde, wendete sich die Stimmung. Sie gab vor, einige von Shaneras Lieblingsplätzen in der Umgebung zu kennen und zu hoffen, dort noch Anhaltspunkte zu finden. Schließlich durfte sie Koras hinzu holen, der in einem Vorraum gewartet hatte. Er verwies auf seine Verdienste als Jungjäger und erklärte durchaus überzeugend, dass sie beide – mit seiner Erfahrung und Zelas langer Kenntnis ihrer Freundin – Shanera finden und zurückbringen konnten.
Nur zwei Sandläufe später waren sie auf dem Weg. Zela hatte eigentlich nicht daran geglaubt, dass ihr Vorschlag wirklich angenommen würde. Tatsächlich war sie gar nicht scharf auf eine längere Exkursion unter so unsicheren Umständen. Aber ihr war nichts Besseres eingefallen und sie hatte halb darauf gehofft, dass die Älteren sie von dieser
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