Shanera (German Edition)
Verantwortung entbinden und jemand anderen schicken würden. Oder dass sie die Sache einfach auf sich beruhen lassen würden. So war es jedoch nicht gekommen. Jetzt musste sie eben das Beste aus der Situation machen – zumindest bestand so eine Chance, Shanera wiederzusehen.
Wenn sie darüber nachdachte, kamen ihr allerdings Zweifel, ob sie ihre Freundin wirklich zur Umkehr bewegen können würde. Shanera war sicher nicht wankelmütig und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann zog sie es auch durch. Die Entscheidung, das Dorf zu verlassen, war ihr sicher nicht leicht gefallen. Das musste Zela ihrer Freundin zugestehen, auch wenn sie deren Handeln missbilligte.
Aber warum hatte sie es getan? Es wäre sicher gut, eine Antwort auf diese Frage zu finden, bevor es zu einem Zusammentreffen kam. Shanera würde nicht auf Appelle oder billige Versprechen hereinfallen, dazu war sie zu schlau. Zelas Argumente mussten Hand und Fuß haben. Sie überdachte die letzten paar Mondzyklen und versuchte, Anhaltspunkte für das Verhalten ihrer Freundin zu finden.
Der Weg war zwar steil, aber nicht besonders schwierig und sie hatte sonst nichts weiter zu tun, als Koras zu folgen. Dieser hatte die Führung übernommen und trug momentan auch den größeren Teil ihres Gepäcks. Die übliche sparsame Ausrüstung, einige Fackeln und etwas getrocknetes Fleisch und Früchte als Wegzehrung. Zela fiel ein, dass Shanera wahrscheinlich nichts zum Essen hatte mitnehmen können. In der Zeit, die sie zum Sammeln oder Jagen verwenden musste, konnten ihre Verfolger aufholen. Zumindest am Anfang, denn sehr weit reichten ihre Vorräte natürlich auch nicht.
In letzter Zeit war ihre Freundin oft schlecht gelaunt gewesen, soviel war klar. Besonders wenn es darum ging, dass ihre Lehrer sie in bestimmten Dingen nicht unterrichten wollten oder konnten. Shanera hatte einen schier unbändigen Wissensdrang. Zela war dagegen froh, wenn sie ihr wöchentliches Pensum als Anwärterin gelernt hatte. Ihre Welt hatte klare Grenzen und alles, was dahinter lag, hatte für ihr tägliches Leben keine große Bedeutung. Warum sich damit abplagen? Es war wichtiger, sich innerhalb der Dorfgemeinschaft zu bewähren und nach oben zu kommen.
Shanera hatte sie auch seltener einen Blick in ihre eigenen Schriften werfen lassen. Als sie einmal heimlich hinein geblättert hatte, hatte sie wenig verstanden. Ihre Freundin schrieb von Dingen, die sie nicht kannte und von denen sie nicht wusste, ob sie real waren.
Umgekehrt war sie von ihr immer wieder über die Tempelschriften ausgefragt worden, besonders über Dinge, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Zela wollte die Regeln des Tempels nicht brechen. So hatte sie es vermieden, Einzelheiten preiszugeben, wobei diese allerdings ihrer Meinung nach sowieso nicht allzu interessant waren. Dies hatte Shaneras Laune nicht gerade verbessert.
Zela versuchte, sich auf das Problem zu konzentrieren, aber der Marsch wandaufwärts strengte sie an und ihre Gedanken nahmen keine klare Richtung. Mühsam und zunehmend lustlos stieg sie hinter Koras her, viele Sandläufe lang, wie es ihr schien.
In Wirklichkeit war es nicht ganz so weit bis zu einer zerklüfteten Stelle, an der Koras den Weg verließ und ein Stück wandaufwärts kletterte. Er dreht sich um und winkte ihr, zu folgen, dann war er verschwunden. Schwer atmend stieg sie hinterher und erblickte einen Spalt in der Wand – den Höhleneingang. Koras hockte kurz dahinter und grinste ihr zu.
„Nun, wir haben die Höhle erreicht. Willst Du eine Pause machen?“
Zela versuchte, wieder zu Atem zu kommen. „Ja, die könnte ich allerdings gebrauchen.“
„War ich zu schnell? Tut mir leid. Ich dachte nur … wir sollten Shanera erreichen, bevor sie zu weit ins Hochplateau vorgedrungen ist. Es ist leicht, sich dort zu verstecken. Zu zweit können wir keine großen Gebiete absuchen.“
„Ich weiß, Du hast recht. Ich bin einfach nicht so ausdauernd wie Du.“
Koras betrachtete sie skeptisch. Er wollte etwas aufmunterndes sagen, wusste aber nicht recht, wie. Worauf hatte er sich da eingelassen? Hoffentlich hielt Zela durch. Schließlich holte er aus seinem Bündel ein Stück Trockenfleisch und teilte es auf. Schweigend aßen sie ihren jeweiligen Anteil und spülten ihn mit Wasser aus den Schläuchen hinunter.
Zela dachte mit Unbehagen an den Aufstieg durch die Höhle, der ihr noch bevorstand. Koras überlegte, wie sie Shanera am besten aufspüren
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