Shannara I
ihre Augen zu starren.«
Die sieben Männer sahen einander betroffen an. Sie begannen an der Weisheit des ganzen Unternehmens bereits zu zweifeln, während Allanon seinen Vortrag fortsetzte:
»Hinter den Sphinxen führen einige harmlose Korridore zum Gang der Winde, einem Tunnel, bewohnt von unsichtbaren Wesen, Banshies genannt, nach den legendären Astralgeistern. Sie sind nicht mehr als Stimmen, aber diese Stimmen vermögen Sterbliche in den Wahnsinn zu treiben. Ihre Ohren werden zur Sicherheit verschlossen, aber wieder kommt es darauf an, daß ihr euch auf mich konzentriert, euren Geist von dem meinen überdecken laßt, um zu verhindern, daß er der vollen Wirkung dieser Stimmen ausgesetzt ist. Ihr müßt euch entspannen und dürft euch nicht gegen mich wehren. Versteht ihr?«
Er zählte siebenmal ein kaum wahrnehmbares Kopfnicken.
»Nach dem Korridor der Winde werden wir im Grabmal der Könige sein. Dann kommt nur noch ein Hindernis…« Er verstummte und richtete den Blick wachsam auf den Höhleneingang. Einen Augenblick lang schien es, als wolle er den Satz zu Ende führen, aber statt dessen winkte er sie zum dunklen Eingang. Sie standen unsicher zwischen den Steinriesen, während der graue Nebel die hohen Felswände ringsum einhüllte. Die schwarze, gähnende Öffnung lag vor ihnen wie das offene Maul eines riesigen Raubtiers. Allanon zog eine Reihe von breiten Stoffstreifen hervor und gab jedem einen davon. Mit einem langen Kletterseil banden sie sich aneinander fest, Durin mit seinen sicheren Füßen übernahm die Führung, der Prinz von Callahorn bildete die Nachhut. Die Augenbinden wurden umgelegt, und die Männer faßten sich an den Händen, um eine Kette zu bilden. Augenblicke danach zog die Kolonne bedachtsam durch den Eingang zur Halle der Könige.
In den Höhlen herrschte eine tiefe, lastende Stille, verstärkt durch das plötzliche Ersterben des Sturmwindes und ihrer hallenden Schritte auf dem Felspfad. Der Tunnelboden war seltsam glatt und eben, aber die Kälte, die seit Jahrhunderten im uralten Gestein lagerte, drang schnell in ihre angespannten Leiber, bis sie fröstelten. Keiner sprach, jeder versuchte sich zur Ruhe zu zwingen, während Allanon sie vorsichtig durch eine Reihe von Biegungen führte. Shea, in der Mitte der sich vorantastenden Kolonne, spürte, wie Flicks Hand die seine fest umklammerte. Seit ihrer Flucht aus dem Tal waren sie einander noch nähergekommen, verbunden nun mehr durch gemeinsame Erlebnisse als durch Verwandtschaft. Was immer auch mit ihnen geschehen mochte, Shea hatte das Gefühl, daß diese enge Verbundenheit nicht mehr verlorengehen konnte. Er würde auch nicht vergessen, was Menion für ihn getan hatte. Er dachte kurz über den Prinzen von Leah nach und mußte lächeln. Der Hochländer hatte sich in den vergangenen Tagen so gewandelt, daß er beinahe ein anderer Mensch geworden war. Den alten Menion gab es noch, aber er besaß jetzt eine neue Dimension, die zu definieren Shea schwerfiel. Aber letztlich hatten sie sich alle verändert, Menion, Flick und er selbst auch, auf vielerlei, nicht so leicht zu ergründende Art. Er fragte sich, ob Allanon die Veränderung in ihm wahrgenommen hatte - Allanon, der ihn stets mehr als Jungen denn als richtigen Mann behandelte.
Sie kamen unsicher zum Stehen, und in der tiefen Stille danach flüsterte die befehlende Stimme des Druiden lautlos im Gehirn jedes einzelnen der Männer:
Denkt an meine Warnung, richtet eure Gedanken auf mich, konzentriert euch allein auf mich. Dann setzte sich die Reihe wieder in Bewegung, mit hohl hallenden Schritten. Augenblicklich spürten die Männer mit ihren verbundenen Augen die Gegenwart einer lautlos und geduldig wartenden Wesenheit vor sich.
Die Sekunden huschten vorbei, als die Gruppe tiefer in die Höhlen vorstieß. Die Männer wurden sich riesiger, stiller Gestalten bewußt, die auf beiden Seiten emporragten - Gestalten, aus Stein gemeißelt, mit Gesichtern, die menschlich waren, aber auf den geduckten Leibern nicht zu beschreibender Tiere. Die Sphinxe. In ihren Gedanken konnten die Männer diese Augen sehen, das verblassende Bild Allanons durchdringend, und sie spürten die Belastung bei dem Versuch, sich auf den riesigen Druiden zu konzentrieren. Der drängende Wille der Steinungeheuer bohrte sich in ihre Gehirne, wand und schlängelte sich in ihre wirren Gedanken, dem Augenblick entgegenstrebend, in dem menschliche Augen ihrem eigenen, leblosen Blick begegnen würden. Jeder einzelne
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