Shannara I
den Blicken entzog. Sie warteten schon eine halbe Stunde, und noch immer rührte sich nichts, trotz Durins Behauptung, ein Verfolger befinde sich hinter ihnen. Menion fragte sich, ob das Wesen, das sie beschattete, vielleicht einer der Abgesandten des Dämonen-Lords war. Ein Schädelträger konnte sich in die Luft erheben und die anderen erreichen. Der Gedanke erschreckte ihn, und er wollte Balinor ein Zeichen geben, als ein plötzliches Geräusch auf dem Weg seine Aufmerksamkeit erregte. Er preßte sich sofort an den Felsblock.
Die Geräusche einer Person, die langsam den Weg heraufstieg, waren deutlich zu hören. Wer es auch sein mochte, sie schien nicht zu ahnen, daß die beiden sich hier versteckt hatten, oder, schlimmer noch, sie gedachte sich nicht darum zu kümmern, denn sie unternahm keinen Versuch, ihr Näherkommen zu verschleiern. Sekunden später tauchte eine schattenhafte Gestalt auf dem Weg unter ihrem Versteck auf. Menion wagte einen kurzen Blick hinaus, und für Sekundenbruchteile erinnerte ihn die gedrungene Form an Höndel. Er packte das Schwert fester und wartete. Der Angriffsplan war einfach. Er gedachte, vor dem Eindringling hinauszuspringen und ihm den Weg zu versperren, während Balinor im selben Augenblick ihm den Rückweg abschneiden sollte.
Menion schnellte sich hinaus aus dem Versteck, das Schwert erhoben, um dem geheimnisvollen Verfolger gegenüberzutreten. Er schrie ihm zu, er möge stehenbleiben. Die Gestalt vor ihm duckte sich und hob einen kräftigen Arm mit einem schweren, eisernen Streitkolben, der stumpf schimmerte. Eine Sekunde später, als die Kampfbereiten einander anstarrten, sanken die Arme herab, und der Prinz von Leah rief außer sich vor Verwunderung: »Höndel!«
Balinor kam aus den Schatten und sah Menion vor Freude in die Luft springen, bevor er die kleinere, stämmige Gestalt umarmte. Der Prinz von Callahorn schob das Schwert erleichtert in die Scheide zurück, lächelte und schüttelte verwundert den Kopf über den jubelnden Hochländer und den sich wehrenden, murrenden Zwerg, den sie für tot gehalten hatten. Zum ersten Mal, seitdem sie aus dem Wolfsktaag durch den Jade-Paß entkommen waren, spürte Balinor, daß der Erfolg zum Greifen nahe schien und die Männer nun ganz gewiß in Paranor vor dem Schwert von Shannara stehen würden.
Der Sohn
von Shannara
Kapitel 14
Der Morgen graute über den beherrschenden Graten und Gipfeln der Drachenzähne mit einer kalten, düsteren Entschlossenheit, die weder heiter noch willkommen war. Wärme und Helligkeit der aufgehenden Sonne wurden von niedrigen Wolkenformationen und dichtem Nebel, der sich zwischen den dräuenden Höhen niederließ und regungslos verharrte, völlig abgeschirmt. Der Wind fegte mit wilder Kraft über den nackten Fels, fauchte durch Schluchten und schroffe Abstürze, über Hänge und Grate, stürzte sich auf die dürftige Vegetation und glitt doch mit ungreifbarer Schnelligkeit durch das Gemisch aus Wolken und Nebelschwaden, um es auf unerklärliche Weise unberührt zu lassen. Das Geräusch des Windes war wie das tiefe Brausen des Meeres, das an freien Strand brandet, schwer und wogend, die nackten Gipfel mit einem eigenartigen Rauschen umtönend, das, war man nur lange genug davon eingehüllt, eine eigene Stille hervorrief. Vögel hoben und senkten sich mit dem Wind, ihre Schreie klangen zerstreut und dumpf. In dieser Höhe gab es nur wenige Tiere - vereinzelte Herden einer besonders zähen Gattung von Bergziegen und kleine, pelztragende Mäuse, die in den innersten Spalten der Felsen lebten. Die Luft war mehr als kühl; sie war bitter kalt. Schnee bedeckte die Höhen der Drachenzähne, und der Wandel der Jahreszeiten hatte wenig Einfluß in dieser Höhe auf eine Temperatur, die selten über den Nullpunkt stieg.
Es war ein tückisches Gebirge, riesig, hochragend und unglaublich massiv. An diesem Morgen schien es von einer seltsamen Erwartung erfüllt zu sein, und die acht Männer, die den kleinen Trupp aus Culhaven bildeten, wurden das Gefühl der Beunruhigung nicht los, das ihre Gedanken beschäftigte, als sie immer tiefer in das kalte Grau hineinstapften. Es war mehr als die bedrückende Prophezeiung Brimens oder selbst die Erkenntnis, daß sie bald versuchen sollten, die verbotene Halle der Könige zu durchschreiten. Irgend etwas wartete auf sie, etwas, das geduldig und verschlagen war, eine Lebenskraft, verborgen in dem nackten, felsigen Gelände, durch das sie zogen, erfüllt von rachsüchtigem
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