Shannara II
konnte das Böse nicht auf die Erde zurückkehren. Eingeschlossen in das Nichts der Finsternis mochte es hinter den Mauern des Bannspruchs heulen und wimmern, die Erde war ihm unerreichbar.
Bis zu diesem Tag hatte diese Gewähr gegolten! Doch wenn der Ellcrys siechte, dann war auch der Bannspruch aufgehoben. Es stand geschrieben, daß dies eines Tages geschehen würde, denn es gab keine Macht, die so stark war, daß sie ewig dauern konnte. Und doch hatte es den Anschein gehabt, als würde der Ellcrys niemals vergehen. Schon so viele Generationen lang stand er an seinem Platz in den Gärten des Lebens, unverändert, ein fester Punkt im wechselvollen Wellenschlag des Lebens. Allmählich hatte sich in den Elfen die Überzeugung festgesetzt, daß es immer so bleiben würde. Aber das, so schien es jetzt, war ein törichter Irrtum gewesen.
Mit einer ruckartigen Bewegung wandte der König sich um, warf einen kurzen Blick auf Andor und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Dort setzte er sich wieder nieder und umschloß Laurens Hände mit den seinen, um den Jungen zu beruhigen.
»Du mußt mir alles erzählen, was genau der Baum zu dir gesagt hat, Lauren. Jede Einzelheit. Du darfst nichts auslassen.«
Der junge Mann nickte wortlos. Die Tränen waren versiegt, seine Züge wieder ruhig und gelassener.
Eventine ließ seine Hände los und lehnte sich erwartungsvoll zurück. Andor holte sich einen hochlehnigen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen.
»Herr, Ihr wißt, auf welche Art der Baum zu uns spricht?« fragte Lauren vorsichtig.
»Auch ich war einmal ein Erwählter, Lauren«, antwortete Eventine.
Andor blickte seinen Vater überrascht an. Das hatte er bisher nicht gewußt. Lauren jedoch schien diese Enthüllung Vertrauen einzuflößen. Er nickte und wandte sich an Andor, um ihm die Sprache des Baumes zu erklären.
»Seine Stimme ist keine Stimme in dem Sinn, daß man sie hören kann. Er spricht vielmehr in Bildern, die vor unserem geistigen Auge auftauchen. Worte als solche kommen höchst selten vor; die Wörter sind unsere Übersetzung der Bilder und Gedanken, die der Baum ausstrahlt. Die Bilder kommen und gehen sehr rasch und sind meist nicht sehr klar gezeichnet. Wir müssen versuchen, sie so gut wie möglich zu interpretieren.«
Er schwieg einen Moment lang und wandte sich wieder an Eventine.
»Ich - der Ellcrys hat vorher nur ein einziges Mal zu mir gesprochen, Herr. Damals, als er mich mit den anderen erwählte. Das, was wir über seine Art, sich mitzuteilen, wußten, hatten wir einzig den Schriften unseres Ordens und den Lehren der Erwählten, die vor uns dem Baum gedient haben, entnommen. Und obwohl der Ellcrys jetzt selbst zu uns gesprochen hat, ist das alles immer noch sehr verwirrend.«
Eventine nickte ermutigend, und Lauren fuhr in seiner Botschaft fort.
»Herr, der Ellcrys hat heute morgen sehr lange zu uns gesprochen. Nie zuvor hat er das getan. Er rief uns zu sich und sagte uns, was werden würde, und was wir, die Erwählten, zu tun hätten. Die Bilder waren nicht sehr deutlich, doch es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Baum stirbt. Er hat nur noch eine kurze Lebensspanne; wieviel Zeit ihm noch bleibt, ist ungewiß. Der Verfall hat schon begonnen. Und in dem Maße, wie der Baum dahinsiecht, verfällt auch der Bann der Verfemung. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit der Rettung - die Wiedergeburt des Baumes .«
Hastig umfaßte Eventine die Hand des jungen Mannes. Auch Andor, betäubt und verwirrt von der Todesprophezeiung des Ellcrys, war diese Möglichkeit entfallen. Die Wiedergeburt, davon berichteten die ältesten Geschichtsbücher, daß der Ellcrys wiedergeboren und der Bann auf diese Weise aufrechterhalten werden konnte.
»Dann dürfen wir noch hoffen«, flüsterte er.
Eventines Augen waren auf Lauren geheftet.
»Was muß geschehen, um diese Wiedergeburt herbeizuführen?«
Lauren schüttelte den Kopf.
»Herr, der Baum hat sein Schicksal in die Hände der Erwählten gelegt. Nur durch uns kann eine Wiedergeburt erfolgen. Ich kann die Gründe des Baumes hierfür nicht verstehen, doch die Bilder waren klar. Der Ellcrys wird einem von uns sein Samenkorn geben - welchem von uns, sagte er nicht. Es zeigte sich kein Gesicht. Doch es war ganz deutlich, daß nur einer der Erwählten, die das letztemal von ihm erkoren wurden, das Samenkorn empfangen kann. Niemand sonst kommt in Betracht. Derjenige, den der Baum ausersieht, muß das Samenkorn zum Lebensquell der Erde tragen, zum
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