Shannara II
treuer, als irgendein Mensch es je hätte sein können.
»Er wird auch schon grau - genau wie ich«, murmelte Eventine mit stiller Wehmut.
Sekunden später flog die Tür auf, und Gael trat ein, gefolgt von Lauren. Der junge Mann blieb einen Augenblick unter der Tür stehen und warf einen unsicheren Blick auf Gael. Der König nickte seinem Leibdiener zu, zum Zeichen, daß er entlassen war. Auch Andor wollte gehen, doch ein Wink seines Vaters gab ihm zu verstehen, daß er bleiben solle. Gael verneigte sich ehrerbietig und zog sich wieder zurück. Diesmal schloß er die Tür fest hinter sich. Als er gegangen war, trat der junge Erwählte einen Schritt näher.
»Herr, bitte verzeiht - sie waren der Meinung, daß ich - daß ich zu Euch gehen sollte…« Er hatte Mühe, die Worte hervorzubringen.
»Es gibt nichts zu verzeihen«, beschwichtigte ihn Eventine. Mit einer Herzlichkeit, die Andor wohlbekannt war, ging der König raschen Schrittes auf den jungen Mann zu und legte ihm den Arm um die Schultern. »Ich weiß, daß diese Sache dir sehr wichtig sein muß, sonst hättest du deine Pflicht in den Gärten des Lebens sicher nicht im Stich gelassen. Hier, setz dich und berichte mir.«
Er warf einen fragenden Blick auf Andor, bevor er den jungen Mann zu einem kleinen Schreibtisch auf der anderen Seite des Zimmers geleitete. Er bedeutete ihm, in einem der Sessel Platz zu nehmen, und ließ sich selbst in dem anderen nieder. Andor folgte ihnen in die Schreibecke, blieb jedoch stehen.
»Du heißt Lauren, nicht wahr?« fragte Eventine den Erwählten.
»Ja, Herr.«
»Gut, Lauren, dann berichte mir nun, weshalb du zu mir geeilt bist.«
Lauren straffte die Schultern und legte seine Hände fest gefaltet auf den Tisch.
»Herr, der Ellcrys hat heute morgen zu den Erwählten gesprochen.« Seine Worte glichen eher einem Flüstern. »Er sagte uns - er sagte uns, daß er bald sterben wird…«
Andor spürte, wie ein eisiger Schauer ihn durchrann. Einen Moment lang schwieg der König, er saß da wie erstarrt, den Blick unverwandt auf den jungen Mann gerichtet.
»Da muß ein Mißverständnis vorliegen«, bemerkte er schließlich.
Lauren schüttelte mit heftigem Nachdruck den Kopf.
»Nein Herr, es ist kein Mißverständnis. Der Baum hat zu allen von uns gesprochen. Wir - wir haben es alle deutlich vernommen. Er stirbt. Der Bann der Verfemung fängt schon an abzubröckeln.«
Sehr langsam erhob sich der König und ging zum offenen Fenster hinüber. Wortlos starrte er in den Wald hinaus. Manx, der sich am Fuß des Bettes zusammengerollt hatte, sprang auf und folgte ihm. Andor sah, wie die Hand des Königs zum Kopf des Hundes wanderte, um ihm gedankenverloren das Fell zu kraulen.
»Bist du ganz sicher, Lauren?« fragte Eventine. »Bist du wirklich sicher?«
»Ja. - Ja!«
Der Junge saß immer noch am Tisch, das Gesicht in die Hände vergraben, und weinte leise, beinahe lautlos vor sich hin. Eventine blickte weiterhin wie geistesabwesend in das Grün der Wälder, die sein und seines Volkes Heimat waren.
Andor war innerlich wie zu Eis erstarrt, sein Geist noch immer verstört vom Schock der Botschaft. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was er gehört hatte, drang nur langsam in sein Bewußtsein. Der Ellcrys war dem Tode nahe! Der Bannspruch würde seine Wirkung verlieren. Die bösen Mächte, die in Fesseln gelegt worden waren, würden wieder frei sein. Das bedeutete Chaos, Wahnsinn, Krieg! Und am Ende die totale Zerstörung.
Er hatte die Geschichte seines Volkes unter Anleitung seiner Lehrer studiert und sie in den Büchern seiner Bibliothek nachgelesen. Es war eine Geschichte, die von Legenden umrankt war.
In uralter Zeit, noch vor den Großen Kriegen, vor dem Morgengrauen der Zivilisation in der alten Welt, ja, noch vor dem Auftauchen der alten Rasse - der Menschen - hatte zwischen den guten und den bösen Mächten ein erbitterter Kampf getobt. Die Elfen hatten in diesem Ringen auf Seiten des Guten gestritten. Es war ein langer, schrecklicher, alles verheerender Kampf gewesen. Am Ende jedoch hatten die Mächte des Guten obsiegt und das Böse niedergerungen. Doch das Böse war von solcher Natur, daß es nicht vernichtet werden konnte; es konnte nur verbannt werden. Darum vereinigten das Elfenvolk und seine Verbündeten ihre magischen Kräfte mit der Lebenskraft der Erde selbst, um den Ellcrys zu schaffen und durch sein Dasein einen Bann der Verfemung über die Geschöpfe des Bösen zu verhängen. Solange der Ellcrys lebte und gedieh,
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