Shannara II
ein Schaben und Knacken, als ob die Zweige eines Baumes sich im Winde aneinander rieben; aber es ging kein Wind, und das Geräusch kam von unten, nicht von oben. Das Wesen, das sie trug, machte dieses Geräusch.
Flüchtig wanderten ihre Gedanken zu Wil, und sie versuchte sich vorzustellen, was er an ihrer Stelle tun würde. Unwillkürlich mußte sie lächeln. Weiß der Himmel, mit was für einem Bravourstück Wil versuchen würde, sich aus einer solchen Situation zu retten, dachte sie. Dann fragte sie sich, ob sie ihn je wiedersehen würde.
Sie spürte, wie ihre Muskeln sich verkrampften und überlegte, ob sie es wagen konnte sie ein wenig zu lockern, ohne sich zu verraten. Versuchsweise streckte sie die Beine, tat so, als bewegte sie sich im Schlaf. Die Finger, die sie umklammert hielten, folgten ihrer Bewegung, lockerten aber nicht den Griff.
Das Plätschern fließenden Wassers drang an ihr Ohr, wurde merklich lauter. Sie roch das Wasser jetzt, frisch und nach Waldblumen duftend - ein Bach, der sprudelnd durch die Stille des Waldes sprang. Dann war er unter ihr, und das Knistern von Ästen und die Geräusche danach gingen in seinem Geplätscher unter. Schritte widerhallten dumpf auf hölzernen Planken, und sie wußte, daß man sie über einen Steg getragen hatte. Das Gurgeln des Baches wurde leiser. Ketten klirrten und rasselten, als würden sie eingeholt, und dann folgte ein dumpfer Schlag. Irgend etwas hatte sich hinter ihr geschlossen, eine Tür - eine sehr schwere Tür. Eine Eisenstange und mehrere Riegel knirschten. Sie hörte es ganz deutlich. Wie zuvor flutete die kühle Nachtluft über ihr Gesicht, doch sie brachte den unverwechselbaren Geruch von Stein und Mörtel mit. Wieder stieg Furcht in ihr auf. Sie befand sich innerhalb von steinernen Mauern, in einem Hof vielleicht, und wurde jetzt, das glaubte sie jedenfalls, in ein Gefängnis getragen. Wenn es ihr nicht gelang, sich sofort zu befreien, würde sie nie mehr freikommen. Doch die Finger, die sie umklammerten, lockerten sich nicht, und es waren ihrer viele. Es würde sie eine ungeheure Anstrengung kosten, sich ihnen zu entreißen, und sie glaubte nicht, daß sie noch soviel Kraft besaß. Und wohin, dachte sie niedergeschlagen, sollte sie sich dann wenden, wenn es ihr wirklich gelang, sich zu befreien?
Wieder wurde eine Tür geöffnet. Sie knarrte leise. Noch immer war nirgends ein Lichtschein zu sehen; nichts als Schwärze umgab sie.
»Hübsch«, sagte plötzlich eine Stimme, und Amberle fuhr erschrocken zusammen.
Sie wurde weitergetragen. Hinter ihr schloß sich die Tür, und die Gerüche des Waldes blieben zurück. Sie war drinnen - aber wo drinnen? Durch lange, gewundene Gänge führte der Weg. Es roch nach Moder und Feuchtigkeit. Aber auch einen anderen Geruch konnte sie noch ausmachen, einen schweren Duft nach Räucherwerk oder Parfüm. Tief atmete sie den Duft ein, und einen Moment lang schwamm ihr der Kopf.
Dann endlich, ganz plötzlich und unerwartet, sah sie Licht, das schimmernd durch einen hohen Torbogen fiel. Amberle, deren Augen noch an die Finsternis gewöhnt waren, blinzelte geblendet. Sie wurde durch den Torbogen getragen und dann eine Wendeltreppe hinunter. Das Licht blinkte über ihr, blieb kurz zurück, folgte ihr dann schwankend durch die Dunkelheit.
Ihre Träger hielten an. Sie spürte, wie sie auf einen dicken gewobenen Teppich hinuntergelassen wurde. Die hölzernen Finger ließen sie los. Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und blickte blinzelnd zum Licht. Einen Moment lang hing es direkt vor ihren Augen, dann zog es sich langsam hinter einer Wand aus Eisenstangen zurück. Eine Tür flog zu, und das Licht war fort.
Kurz bevor es verschwand, sah Amberle flüchtig die Wesen, die sie gefangengenommen hatten. Ihre schmalen Gestalten hoben sich klar aus dem weißen Licht. Sie schienen aus Holzstöckchen gemacht zu sein.
Auf dem Grund der Senke gab Wil das Zeichen zum Anhalten. Es war so finster, daß er kaum die Hand vor Augen sehen konnte; er konnte weder Hebel noch Eretria erkennen, und auch sie konnten ihn nicht sehen. Wenn sie unter diesen Bedingungen einfach losmarschierten, würden sie einander bald verlieren und sich hoffnungslos verlaufen. Er wartete ein paar Augenblicke, bis sein Blick schärfer wurde. Doch viel half das nicht. Die Senke blieb ein finsteres Meer von Schatten, in dem einzelne Formen kaum auszumachen waren.
Hebel hatte schließlich einen Einfall, wie das Problem zu lösen war. Nachdem er aus
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