Shannara V
wollten sie sie festnageln. Der Himmel war trüb und dunstig, und die Wogen des Gezeitenstroms brachen und donnerten gegen die Felsenufer.
Horner Dees ging voraus, und die anderen folgten, bis sie alle von den Schatten umgeben waren. Die Luft war eisig und still in der Kluft, nur die fernen Rufe von Seevögeln hallten schrill durch die Luft. Was für Geschöpfe außer dem Meeresgetier konnten in dieser Umgebung wohl leben, fragte sich Morgan Leah unbehaglich. Er zog sein Schwert. Sein ganzer Körper war gespannt, und er spähte angestrengt um sich, suchte nach einem Zeichen der Gefahr, deren Drohen er spürte. Dees ging gebeugt wie ein Tier auf Jagd, und die drei hinter dem Hochländer waren wie Geister ohne Substanz. Nur Quickening schien unbeeinträchtigt, mit hocherhobenem Kopf wanderten ihre Augen wachsam über den Fels, den Himmel und das Grau, das alles umhüllte.
Morgan schluckte gegen die Trockenheit in seiner Kehle an. Was ist das, was uns hier erwartet?
Die Wände der Kluft schienen sich über ihren Köpfen zu berühren, und für einige Zeit befanden sie sich in völliger Finsternis. Nur der schmale Lichtschlitz vor ihnen ließ erkennen, daß sie nicht in einer Gruft eingeschlossen waren. Dann verbreiterte sich der Spalt wieder, und es wurde heller. Die Kluft öffnete sich auf ein Tal, das zwischen den beiden Gipfeln eingebettet lag. Flach, zerfurcht, erstickt unter den Überresten von Bäumen und Gestrüpp, mit Felsbrocken vielfach größer als ein Mann, war es eine häßliche Anhäufung vom Abfall der Natur und dem Müll der Zeit. Überall lagen Skelette in riesigen Haufen, alle Größen und Formen, zerschmettert und zerbrochen, so daß man nicht mehr erkennen konnte, was es für Geschöpfe gewesen sein mochten.
Horner Dees ließ sie anhalten. »Das ist die Knochensenke«, sagte er leise. »Das Tor nach Eldwist. Dort drüben jenseits der Senke zwischen den Gipfeln beginnt Eldwist.«
Die anderen drängten herbei, um besser sehen zu können. Walker Boh erstarrte. »Da unten ist etwas.«
Dees nickte. »Vor zehn Jahren hab’ ich das auf die unsanfte Art herausgefunden«, sagte er. »Es ist ein Koden. Der Wachhund des Steinkönigs. Siehst du ihn?«
Sie spähten, doch sie sahen nichts, nicht einmal Pe Ell. Dees ließ sich schwerfällig auf einem Felsbrocken nieder. »Ihr werdet ihn nicht sehen. Nicht, bevor er euch erwischt hat. Und dann spielt es keine Rolle mehr, nicht wahr? Ihr könntet alle die armen Kreaturen da unten fragen, wenn sie noch Zungen hätten und lebten, um sie zu benutzen.«
Morgan stieß mit seinem Stiefel an einen toten Ast, während er zuhörte. Das Holz war schwer und gab nicht nach. Stein. Morgan schaute es an, als verstehe er es zum ersten Mal. Stein. Alles unter ihren Füßen, alles um sie herum, alles so weit das Auge reichte - alles war aus Stein.
»Koden sind eine Bärenart«, berichtete Dees. »Riesige Kerle, die oben in den kalten Regionen im Norden der Gebirge leben. Sie bleiben ziemlich unter sich. So oder so sehr unberechenbar. Aber dieser hier?« Er nickte geheimnisvoll. »Er ist ein Monster.«
»Riesig?« fragte Morgan.
»Ein Monster«, betonte Dees. »Nicht nur von der Größe her, Hochländer. Dieses Ding ist kein Koden mehr. Man kann noch erkennen, was es eigentlich sein sollte, aber nur so gerade eben. Belk hat irgendwas mit ihm gemacht. Blind gemacht, zum einen. Er kann nichts sehen. Aber seine Ohren sind so scharf, daß er eine Nadel fallen hört.«
»Dann weiß er also, daß wir hier sind«, vermutete Walker und trat an Dees vorbei, um einen besseren Blick in die Senke zu werfen. Seine Augen waren dunkel und nachdenklich.
»Schon seit geraumer Zeit, nehme ich an. Er wartet da unten darauf, daß wir versuchen durchzugehen.«
»Falls er überhaupt noch da ist«, sagte Pe Ell. »Es ist schon lange her, seit du hier warst, Alter. Inzwischen mag er tot und verschwunden sein.«
Dees schaute ihn mitleidig an. »Warum gehst du nicht runter und schaust mal nach?«
Pe Ell schenkte ihm ein schiefes, frostiges Lächeln.
Der alte Fährtensucher wandte sich ab und ließ seinen Blick wieder über sie Senke wandern. »Zehn Jahre sind es her, seit ich ihn gesehen habe, und ich kann ihn noch immer nicht vergessen«, flüsterte er. Er schüttelte sein ergrautes Haupt. »So was furchtbares wie ihn vergißt man nicht.«
»Vielleicht hat Pe Ell recht; vielleicht ist er inzwischen tot«, schlug Morgan hoffnungsvoll vor. Er schaute Quickening an, deren Blick auf Walker
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