Shannara V
materialisieren, als habe sich der Staub plötzlich zusammengefügt, um ihm Gestalt zu geben. Er war riesig und alt und grau, dreimal so groß wie Walker, mit gewaltigen, zottigen Gliedmaßen und gezackten, gelben Krallen, die sich um den Felsen klammerten. Er richtete sich auf den Hinterläufen auf, um sich ihm zu zeigen, und sein verzerrtes Maul öffnete sich und legte eine Reihe gleißender Zähne frei. Seine blinden, weißen Augen schauten auf ihn hinunter. Walker blieb standhaft, sein Leben hing an einem seidenen Faden, den ein kleiner Hieb einer der riesigen Pranken zerreißen konnte. Walker erkannte, daß Kopf und Körper des Koden durch irgendeinen finsteren Zauber verzerrt worden waren, um das Wesen grotesker erscheinen zu lassen, und daß die Symmetrie seiner Gestalt, die einst seiner Kraft Grazie verliehen hatte, zerstört worden war.
Sprich zu mir, dachte Walker Boh.
Der Koden klapperte mit den Augendeckeln und ließ sich dann auf alle viere fallen, so daß sich seine Schnauze nur wenige Zentimeter vor Walkers Gesicht befand. Der Dunkle Onkel zwang sich, dem leeren Blick der Kreatur standzuhalten. Er konnte seinen heißen, fauligen Atem fühlen.
Sag es mir, dachte er.
Einen kurzen Moment lang war er überzeugt, daß er sterben würde, daß die Magie ihn ganz und gar betrogen hatte, daß der Koden die Pranke heben und ihn niederschlagen würde. Er erwartete die Klauen, erwartete sein Ende. Dann hörte er, wie das Wesen ihm antwortete, hörte die gutturalen Töne seiner eigenen Sprache, verzerrt und verformt von der Magie.
Hilf mir, sagte der Koden.
Wärme durchflutete Walker. Leben kehrte in einer Weise in ihn zurück, die er nicht beschreiben konnte, so, als wäre er wiedergeboren und könnte wieder an sich selbst glauben. Ein Anflug von Lächeln huschte über sein Gesicht. Die Magie war noch immer die seine.
Langsam streckte er seinen gesunden Arm aus und berührte die Schnauze des Kodens, fühlte mit seinen Fingerspitzen mehr als nur seine rauhe Haut und sein borstiges Fell, er fand auch den Geist des Geschöpfs, der darin gefangen war. Der Dunkle Onkel las mit dieser Berührung seine Geschichte und fühlte seinen Schmerz. Er trat näher, um seinen massigen, geschundenen Leib zu untersuchen. Er hatte keine Angst mehr vor seiner Größe oder seiner Häßlichkeit oder seiner zerstörerischen Gewalt. Es war ein Gefangener, erkannte er - verschreckt, zornig, verwundert und verzweifelt wie alle Gefangenen -, der nichts anderes wollte als seine Freiheit.
»Ich werde dafür sorgen«, flüsterte Walker Boh.
Er versuchte herauszufinden, wie der Koden gefesselt war, doch er sah nichts. Wo waren die Ketten, die ihn banden? Er ging um das Tier herum, prüfte die Beschaffenheit und das Gewicht von Luft und Boden. Der riesige Kopf drehte sich ihm nach, versuchte, ihm zu folgen, die blinden Augen starrten hinter ihm her. Walker vollendete den Kreis und blieb stirnrunzelnd wieder stehen. Er hatte die unsichtbaren magischen Stricke gefunden, die der Steinkönig gemacht hatte, und er wußte, was nötig war, um die Kreatur zu befreien. Der Koden war ein Gefangener seiner Mutation. Er würde wieder in einen Bären zurückverwandelt werden müssen, in das, was er vorher gewesen war, und er mußte von Uhl Belks Berührung gereinigt werden. Doch Walker verfügte nicht über die Magie, die dazu nötig war. Nur Quickening besaß die Kraft dazu, die Magie, die stark genug war, die Meadegärten aus der Asche der Vergangenheit wiedererstehen zu lassen, wiederherzustellen, was einst war. Doch sie hatte bereits gesagt, daß sie ihre Magie nicht einsetzen durfte, ehe sie den schwarzen Elfenstein zurückgewonnen hatten. Walker stand da, schaute den Koden hilflos an und versuchte zu entscheiden, ob er irgend etwas tun konnte. Das Tier drehte sich zu ihm um. Seine riesige, zerlumpte Gestalt schimmerte staubig vor dem grauen Hintergrund.
Walker streckte noch einmal seine Hand aus und ließ seine Finger auf der Schnauze des Kodens ruhen. Seine Gedanken formten sich zu Worten. Laß uns durch, und wir werden einen Weg finden, dich zu befreien.
Der Koden starrte ihn aus dem Gefängnis seines geschundenen Leibes an, seine toten Augen waren hart und leer. Geht, sagte er.
Walker hob seine Hand nur so lange, wie er brauchte, um seinen Gefährten ein Zeichen zu geben, dann legte er sie wieder zurück. Die anderen näherten sich zögernd. Quickening ging voran, gefolgt von Morgan Leah, Horner Dees, Carisman und Pe Ell. Er beobachtete
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