Shannara V
wie sich die Beklemmung der Stadt über ihn legte.
Ihre Augen suchten seinen Blick. Ihre Silbermähne war das einzig Helle in der Düsternis. »Ich habe dich so fest gehalten, wie ich konnte, Walker Boh«, sagte sie. »War es ausreichend?«
Er brauchte eine Weile, bis er antwortete. Der Stumpf seines verlorenen Arms schmerzte, seine Gelenke waren steif und reagierten langsam. Er kam sich vor wie eine große Muschel, in der sein Geist zu der Größe eines Kieselsteins zusammengeschrumpft war. Und dennoch war er seltsam gefaßt.
»Ich muß an Carisman denken«, sagte er schließlich, »entschlossen, um jeden Preis frei zu sein. Auch ich wäre gern frei. Von meinen Ängsten und Zweifeln. Von mir selbst. Von dem, was ich werden könnte. Und das ist ausgeschlossen, bis ich das Geheimnis des schwarzen Elfensteins und die Wahrheit hinter den Träumen von Allanons Schatten gelöst habe.«
Quickenings Anflug von Lächeln überraschte ihn. »Auch ich wäre gern frei«, sagte sie leise. Sie schien es dringend erklären zu wollen, doch sie schaute schnell weg. »Wir müssen Uhl Belk finden«, sagte sie statt dessen.
Sie verließen ihren Unterschlupf und traten in den Regen hinaus. Sie folgten den schweigenden Straßen von Eldwist nach Norden durch Schatten und Dämmerlicht, gebückt unter dem Schutz ihrer Umhänge, verloren in ihren eigenen Gedanken.
»Eldwist ist wie eine Stadt mitten im Winter«, sagte Quickening, »die auf den Frühling wartet. Sie ist von Stein bedeckt, wie andere Teile der Erde von Schnee bedeckt sind. Kannst du ihre Geduld fühlen? Samen stecken im Boden, und wenn der Schnee schmilzt, können diese Samen zum Keimen gebracht werden.«
Walker wußte nicht so recht, was sie meinte. »In Eldwist gibt es nichts als Stein, Quickening. Er reicht bis in die Tiefe und von einem Ende der Halbinsel zum anderen. Es gibt hier keinen Samen, nichts von den Wäldern und Feldern, keine Bäume, keine Blumen, kein Gras. Nur Uhl Belk und die Monster, die ihm dienen. Und uns.«
»Eldwist ist eine Lüge«, sagte sie.
»Wessen Lüge?« fragte er. Doch sie gab keine Antwort.
Fast eine Stunde lang folgten sie der Straße, hielten sich wohlweislich auf dem Gehsteig und lauschten auf die Geräusche, falls irgend etwas sich bewegte. Doch außer dem stetigen Prasseln des Regens herrschte absolute Stille. Sogar der Malmschlund schlief, so schien es, sogar die Seevögel. Regenwasser sammelte sich in Pfützen und zu Bächen, floß in reißendem Strömen strudelnd und spritzend die Abwasserrinnen entlang und schwemmte den Staub und den Sand in die Gullis, die der Wind in die Stadt getragen hatte. Die Gebäude wachten als stumme, unbeteiligte, gefühllose Zeugen. Wolken und Nebel vermischten sich und senkten sich über sie und bis zum Boden. Die Umgebung begann zu verschwinden, zuerst die Türme, dann ganze Mauern und dann Teile der Straße selbst. Walker und Quickening fühlten eine Veränderung der Welt, so, als sei etwas losgelassen worden. Trugbilder kamen zum Spielen hervor, dunkle Schatten, die aus dem Boden stiegen, um am Rande ihres Sichtfelds zu tanzen, nie ganz wirklich, nie ganz durchgeformt. Augen beobachteten sie, spähten aus der Höhe hinunter, starrten aus dem Boden herauf. Finger streiften ihre Haut, Regentropfen, Nebelschwaden und noch irgend etwas. Walker ließ sich eins werden mit dem, was er fühlte, ein alter Trick, ein Verschmelzen des Selbst mit den äußeren Empfindungen, um ein winziges Maß an Einblick in den Ursprung des Ungesehenen zu gewinnen. Nach geraumer Zeit fühlte er etwas, ein finsteres, brütendes, uraltes Ding von gewaltiger Kraft. Er konnte es atmen hören. Er konnte beinahe seine Augen sehen.
Eine Gestalt tauchte vor ihnen aus dem Nebel, mit Umhang und Kapuze wie sie selbst und beunruhigend nah. Walker stellte sich vor Quickening und blieb stehen. Die Gestalt hielt ebenfalls an. Wortlos standen sie einander gegenüber. Dann verschoben sich die Wolken und veränderten den Einfall des Lichts, die Schatten gestalteten sich um, und eine Stimme rief unsicher: »Quickening?«
Walker Boh atmete auf. Es war Morgan Leah.
Sie schüttelten sich die Hände zur Begrüßung. Quickening umarmte den durchnäßten, zerzausten Hochländer und küßte leidenschaftlich sein Gesicht ab. Walker schaute zu, ohne etwas zu sagen, längst der Zuneigung der beiden zueinander gewahr, und doch überrascht, daß Quickening es zuließ. Er sah, wie sie die Augen schloß, als Morgan sie im Arm hielt, und glaubte zu
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