Shannara V
rief eine Stimme.
Es war der Hochländer. Pe Ell zögerte kurz und traf dann eine Entscheidung. Er preßte Quickening die Hand auf den Mund und zerrte sie in den Schatten. Zu seiner Überraschung sträubte sich das Mädchen nicht. Sie war leicht und nachgiebig und fast schwerelos in seinem Arm. Es war das erste Mal, daß er sie berührte, seit er sie aus den Meadegärten getragen hatte. Die Gefühle, die sie in ihm weckte, waren beunruhigend sanft und wohltuend, und er unterdrückte sie unwillig. Das kommt später, sagte er sich, wenn ich den Stiehl benutze …
Morgan Leah kam in Sicht, trabte den Gehsteig entlang und rief nach dem Mädchen. Pe Ell hielt Quickening fest und sah zu, wie der Hochländer vorbeirannte. Im nächsten Moment war er verschwunden.
Pe Ell nahm die Hand von ihrem Mund, und sie drehte sich um und schaute ihn an. In ihren Augen standen weder Überraschung noch Furcht; nur Resignation. »Unsere Zeit ist fast gekommen, Pe Ell«, flüsterte sie.
Ein Funken Zweifel nagte an seiner Zuversicht. Sie schaute ihn in ihrer seltsamen Art an, als wäre er für sie transparent, als wisse sie alles über ihn. Aber wenn sie alles wüßte, stünde sie nicht so ruhig hier. Sie würde zu fliehen versuchen, hinter dem Hochländer herrufen oder sonst irgend etwas tun, um sich in Sicherheit zu bringen.
Das Getöse unter der Stadt schwoll an und wurde dann wieder ein wenig schwächer, eine Warnung vor der langsamen, unausweichlichen Lawine, die auf sie zurollte.
»Zeit für was?« brachte Pe Ell zögernd heraus, unfähig, sich von ihrem Blick abzuwenden.
Sie gab keine Antwort. Statt dessen schaute sie an ihm vorbei, ihre schwarzen Augen suchten etwas. Er drehte sich um und folgte ihrem Blick. Walker Bohs dunkle Gestalt löste sich aus dem staubig düsteren, grauen Dunst.
Im Gegensatz zu dem Hochländer hatte er sie gesehen.
Pe Ell riß das Mädchen vor sich, zog den Stiehl, dessen Klinge magisch strahlte, aus dem Versteck. Der einarmige Mann wurde sichtbar langsamer, doch dann näherte er sich wieder.
»Bleib mir vom Leib, Walker Boh«, drohte er. Walker blieb stehen. »Wir kennen einander gut genug, um zu wissen, wozu wir fähig sind. Unnötig, es zu testen. Es ist besser, wir trennen uns jetzt und gehen jeder unserer Wege. Aber gib mir erst den Stein.«
Der große Mann stand reglos da, scheinbar leblos, die Augen starr auf den Mörder und seine Geisel gerichtet. Er schien etwas abzuwägen.
Pe Ell lächelte zynisch. »Sei nicht so töricht zu glauben, du könntest schneller sein als ich.«
»Möglicherweise sind wir beide nicht schnell genug, um diesen Tag zu überleben. Der Malmschlund kommt.«
»Wenn er kommt, bin ich längst weg. Gib mir den schwarzen Elfenstein.«
»Wenn ich das tue, ist dir das dann genug?« fragte der andere ruhig. Er schaute Pe Ell fest in die Augen, als versuche er, darin zu lesen.
Wie das Mädchen, dachte Pe Ell. Zwei von der gleichen Sorte. »Gib ihn her«, kommandierte er, ohne auf die Frage einzugehen.
»Gib Quickening frei.«
Pe Ell schüttelte den Kopf. »Wenn ich in Sicherheit bin. Dann verspreche ich, sie freizulassen.« Frei für immer.
Sie starrten einander eine Weile hart und unerbittlich an, ungesagte Versprechen und finstere Visionen grausiger Möglichkeiten standen darin. Dann langte Walker Boh in seine Tasche und holte den Stein hervor. Er hielt ihn auf der Handfläche vor sich, dunkel und glänzend. Ein Anflug von Lächeln spielte um Pe Ells Mundwinkel. Der Elfenstein war schwarz wie die Nacht, undurchsichtig und ohne Tiefe und absolut makellos. Er hatte dergleichen noch nie gesehen. Fast spürte er, wie die Magie darin pulsierte.
»Gib ihn her«, wiederholte er.
Walker Boh faßte sich an den Gürtel und holte einen Lederbeutel hervor, der mit leuchtendblauen Runen markiert war. Behutsam manövrierte er mit seiner einzigen Hand den Stein in den Beutel und zog die Verschlußschnüre stramm. Dann schaute er Pe Ell an. »Du darfst den schwarzen Elfenstein nicht benutzen, Pe Ell«, sagte er. »Wenn du es versuchst, wird seine Magie dich zerstören.«
»Das Leben ist voller Gefahren«, erwiderte Pe Ell. Staub wirbelte durch die Luft um sie herum, getragen von einer leichten Meeresbrise. Der Stein der Stadt schimmerte, erschüttert von fernem Rumpeln und eingehüllt in Nebel und Wolken. »Wirf ihn her«, befahl er. »Vorsichtig.«
Mit dem Arm, dessen Hand den Stiehl umklammerte, hielt er Quickening fest. Das Mädchen rührte sich nicht. Sie wartete untätig,
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