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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Gesellschaftsklasse, ehelichen Status der Eltern und Familiengröße übereinstimmten. Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen.«
    »Keinen signifikanten Unterschied in der psychologischen Anpassung der Kinder in irgendeiner Hinsicht.«
    »Das ist richtig.«
    Moretti sah hinüber zur Sekretärin an der Stenografiermaschine. »Er spricht schnell. Haben Sie das?«
    Sie nickte.
    Wieder zu mir: »Für die von uns, die nicht mit dem psychologischen Jargon vertraut sind, spezifizieren Sie bitte, was ›kein signifikanter Unterschied‹ heißt.«
    »Die Gruppen waren statistisch nicht zu unterscheiden. Die durchschnittlichen Werte bei diesen Tests waren ähnlich.«
    »Durchschnittlichen?«
    »Mittelwerte - die Fünfzigprozentmarke. Mathematisch ist es der beste Maßstab des Typischen, Repräsentativen.«
    »Ja, natürlich, aber was bedeutet das alles?«
    »Chronisch kranke Kinder können gewisse Probleme bekommen, aber chronisch krank zu sein macht sie nicht unvermeidlich neurotisch oder psychotisch.«
    »Warten Sie mal einen Augenblick«, sagte Moretti und klopfte auf den Papierstapel. »Ich sehe hier nicht, dass irgendwelche Probleme erwähnt werden, Doktor. Ihr grundsätzliches Ergebnis lautete, dass kranke Kinder normal waren.«
    »Das stimmt. Nur -«
    »Sie drücken es hier ganz klar aus, Doktor.« Er hielt den Artikel hoch, blätterte ein Blatt weiter und bohrte den Zeigefinger drauf. »Genau hier in Tabelle 3. ›Spielberger-Angstzustandswerte, Rosenberg-Selbstachtungswerte, Achenbach-Anpassungswerte waren alle‹ - und ich zitiere wörtlich - ›innerhalb normaler Limits.‹ Mit anderen Worten: Diese Kinder waren nicht nervöser oder unsicherer oder neurotischer als ihre gesunden Altersgenossen, habe ich recht, Doktor?«
    »Das fängt an, ein Streitgespräch zu werden«, sagte Mal. »Wir sind hier, um Fakten zu finden.«
    »Quasifakten bestenfalls«, entgegnete Moretti. »Dies ist Psychologie, nicht Wissenschaft.«
    » Sie haben den Artikel zitiert, Herr Kollege«, sagte Mal. »Der Bericht Ihres Zeugen scheint seiner eigenen veröffentlichten Arbeit zu widersprechen, Herr Kollege.«
    »Möchten Sie, dass ich Ihre Frage beantworte?«, fragte ich Moretti.
    Er nahm die Brille ab, lehnte sich zurück und schenkte mir ein Viertellächeln. »Wenn Sie können.«
    »Lesen Sie die Erörterung der Untersuchung«, sagte ich. »Speziell die letzten drei Absätze. Ich habe mehrere Problemfelder aufgelistet, mit denen chronisch kranke Kinder ihr Leben lang zu tun haben - Schmerzen und Unbequemlichkeit, Unterbrechung des Schulunterrichts infolge Behandlung und Krankenhausaufenthalten, Veränderungen, die sowohl durch die Krankheit als auch durch die Behandlung herbeigeführt werden, soziale Stigmatisierung, übertriebene Fürsorglichkeit der Eltern. Im Allgemeinen werden Kinder sehr gut mit diesen Problemen fertig, aber Probleme existieren immer noch.«
    »Die Erörterung«, sagte Moretti. »Aha. Der Ort, an dem die Forscher ihre Mutmaßungen abladen. Aber Ihre eigenen Daten - Ihre Statistiken sagen etwas anderes. Wirklich, Doktor -«
    »Mit anderen Worten«, unterbrach ihn Mal und wandte sich an mich: »Was Sie sagen, Dr. Delaware, ist, dass kranke Kinder und traumatisierte Kinder sich einem ständigen Strom von Herausforderungen gegenübersehen - und das Leben ist qualvoll für sie -, aber manche werden damit fertig.«
    »Ja.«
    Mal ließ den Blick den Tisch hinauf- und hinunterwandern, stellte Augenkontakt zu allen Anwälten außer Moretti her. »Kein Grund, ein Kind dafür zu bestrafen, dass es gut damit fertig wird, nicht wahr, meine Herren?«
    »Wer ist hier der Zeuge?«, schnauzte Moretti ihn an und fuchtelte mit der Kopie herum.
    »Kein Grund, ein Kind dafür zu bestrafen, wenn es sich mit seinem Trauma beschäftigt«, sagte Mal.
    »Trauma?«, wiederholte Moretti. »Hier in diesem Artikel steht nichts von traumatisierten Kindern. Dieses sind chronisch kranke Kinder - chronisch wie in ›Langzeit‹. Darren Burkhalter hat ein Mal etwas erlebt. Er lebt nicht mit einem dauerhaften Schmerz, und keine dauerhafte körperliche Veränderung ist bei ihm eingetreten. Er ist sogar weniger als ein chronisch behindertes Kind verletzlich und hat überhaupt keine Probleme.« Er erlaubte sich ein volles Lächeln.
    Für ihn war alles nur ein Spiel. Ich dachte an kleine Jungen, die sich in engen Gassen darin üben, wer am weitesten pinkeln kann, und sagte: »Sie haben recht, Mr. Moretti. Chronisch kranke und

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