Sharon: die Frau, die zweimal starb
traumatisierte Kinder sind sehr verschieden. Darum wunderte es mich von Anfang an, dass Sie aus dem Artikel zitiert haben.«
Ein paar von den anderen Anwälten lächelten.
»Touché«, flüsterte mir Mal ins Ohr.
Einer der anderen Anwälte flüsterte Moretti etwas ins Ohr. Der Leitwolf war nicht erfreut über das, was er hörte, aber er lauschte mit unbewegtem Gesicht und legte die Fotokopie beiseite.
»Gut, Doktor, lassen Sie uns über den Begriff des frühkindlichen Traumas reden. Ihre Schlussfolgerung, wenn ich Sie richtig verstehe, lautet, dass Darren Burkhalter wegen seiner Gegenwart bei einem Autounfall emotional sein Leben lang eine Art seelische Narbe mit sich herumtragen wird.«
»Sie verstehen mich falsch«, sagte ich. Moretti wurde rot. Mal hob die Augenbrauen und gab einen leisen Pfiff von sich.
»Also jetzt, Doktor -«
»Was ich gesagt habe, Mr. Moretti, war, dass Darren Burkhalter, als ich ihn untersuchte, für ein Kind seines Alters typische Traumasymptome aufgewiesen hat. Schlafstörungen, Albträume, Phobien, Aggressivität, Hyperaktivität, Wutanfälle, Perioden verstärkter Anklammerung. Nach Aussagen seiner Mutter und der Kindergärtnerin in der Krippe hat er vor dem Unfall keine dieser Verhaltensweisen an den Tag gelegt. Es ist vernünftig anzunehmen, dass sie mit dem Unfall zu tun haben - obwohl ich das nicht mit harten Daten beweisen kann. Ob diese Probleme sich zu chronischen Behinderungen entwickeln werden, ist nicht klar, obwohl die Gefahr groß ist, wenn die Psychotherapie nicht fortgesetzt wird. Darren ist in seiner Sprachentwicklung zurückgeblieben - gegenüber dem Durchschnitt ist er mehrere Monate zurück. Wie viel davon mit dem Trauma zu tun hat, lässt sich unmöglich feststellen, aber es ist wohl angebracht, darüber nachzudenken, wenn wir die Zukunft dieses Kindes betrachten.«
»Es ist natürlich unmöglich, darüber mit Sicherheit zu urteilen«, sagte Moretti. »So weit ich der Literatur auf Ihrem Gebiet gefolgt bin, ist Intelligenz primär genetisch bedingt. Der beste Indikator, wie der Intelligenzquotient eines Kindes aussehen wird, ist der Intelligenzquotient seines Vaters - Katz, Dash und Ellenberg, 1981.«
»Den IQ dieses Vaters wird man nie mehr testen«, sagte Mal.
»Stattdessen hatte ich verlangt, dass Mrs. Burkhalter sich einem IQ-Test unterziehen sollte, aber das haben Sie leider abgelehnt, Mr. Worthy«
»Sie hat genug durchgemacht, Herr Kollege.«
»Wie auch immer«, sagte Moretti. »Schlussfolgerungen lassen sich immer noch aus dem ziehen, was wir von diesen Leuten wissen. Weder Mr. noch Mrs. Burkhalter haben die Highschool beendet. Beide waren sie Abbrecher, Aussteiger, haben Hilfsarbeiten verrichtet. Das weist auf eine unterdurchschnittliche genetische Begabung in dieser Familie hin. Ich würde nicht annehmen, dass Darren einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten erreicht. Was meinen Sie, Dr. Delaware?«
»Es ist wohl kaum so einfach«, sagte ich. »Der IQ der Eltern ist ein besserer Indikator für den Intelligenzquotienten der Kinder als die meisten anderen Faktoren, aber er ist immer noch kein sehr zuverlässiger Indikator, wenn man berücksichtigt, dass er für weniger als zwanzig Prozent der Fälle gilt. Katz, Dash und Ellenberg betonen das in ihrer Nachuntersuchung 1983. Einer von jeweils fünf Faktoren, Mr. Moretti. Keine gute Wahrscheinlichkeit für eine Wette.«
»Sind Sie ein Glücksspieler, Doktor?«
»Nein. Deshalb habe ich den Fall übernommen.«
Die Sekretärin lächelte.
Moretti wandte sich an Mal. »Herr Kollege, ich rate Ihnen, diesen Zeugen darauf hinzuweisen, dass ein angemessenes Benehmen erforderlich ist.«
»Betrachten Sie sich als darauf hingewiesen, Dr. Delaware«, sagte Mal und kämpfte gegen ein Grinsen. Er ließ die Manschettenknöpfe aufblitzen und warf einen Blick auf seine Rolex. »Können wir fortfahren?«
Moretti setzte wieder die Brille auf und überflog ein paar Papiere. »Dr. Delaware«, sagte er und machte eine Pause, als koste er eine Pointe aus. »Nun, Dr. Delaware. Sie wollen wohl nicht behaupten, dass Darren Burkhalter ohne diesen Unfall vielleicht Kernphysiker geworden wäre, oder?«
»Niemand weiß, was Darren geworden wäre oder was er werden wird «, sagte ich. »Jetzt sehen die Tatsachen so aus, dass infolge eines ungewöhnlich schweren Traumas seine sprachliche Ausdrucksfähigkeit unterdurchschnittlich entwickelt und dass er einem großen Druck ausgesetzt ist.«
»Wie war seine sprachliche
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