Sharon: die Frau, die zweimal starb
sie, krümmte sich wie ein Fötus zusammen und drückte das Foto ans Herz. Ich sah es mit jedem keuchenden Atemzug auf- und niedergehen. Trat einen Schritt vor.
»Nein! Raus! Raus!«
Der Blick in ihren Augen war mörderisch.
Ich lief rückwärts aus dem Raum, rannte aus dem Haus, mir war schwindlig, übel, wie nach einem plötzlichen Schlag in die Magengrube.
Klar, dass alles zwischen uns aus war.
Aber ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht war.
12
Mittwoch früh war ich wieder in Beverly Hills, im Penthousebüro von Trenton, Worthy und La Rosa. Wartete, um mein Gutachten in dem rosenholzgetäfelten Konferenzzimmer abzugeben, das verschwenderisch mit abstrakter Kunst vollgestopft und mit butterfarbenen Ledersesseln und einem fußballförmigen Rauchglastisch möbliert war.
Mal saß neben mir, schmuddelig-schick in einem formlosen Silberseidenanzug, mit einem Fünftagebart und schulterlangem Haar. Hinter uns war eine Wandtafel auf einem Rosenholzgestell und ein Kofferständer mit einem kalbsledernen Reisekoffer - Mals Vorsprung auf dem Gebiet der Aktenhaltung. Ihm gegenüber saß eine Sekretärin mit einer Stenografiermaschine. Um sie herum saßen acht - nicht sieben - Anwälte.
»Versicherungsgesellschaft hat drei geschickt«, flüsterte er mir zu. »Die ersten drei da.«
Ich sah mir das Trio an. Jung, nadelgestreift und düster wie bei einem Begräbnis.
Ihr Sprecher war ein großer, vorzeitig kahler Bursche Anfang dreißig namens Moretti. Er hatte ein sehr fleischiges, gespaltenes Kinn, breite Schultern und den Charme eines Feldwebels auf dem Kasernenhof. Eine von Mals Sekretärinnen servierte Kaffee und Brötchen, und während wir aßen, legte Moretti mir gegenüber Wert auf die Feststellung, dass er in Stanford im Hauptfach Psychologie studiert hatte. Er ließ die Namen prominenter Professoren fallen, versuchte erfolglos, mich in eine Fachsimpelei zu verwickeln und beobachtete mich mit scharfen braunen Augen über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg.
Als ich meinen Bericht abgab, rückte er auf die Kante seines Stuhls vor. Als ich fertig war, redete er als Erster. Die anderen Anwälte ließen ihn sprechen. Wie jedes Rudel hatten sie ihren Leitwolf gewählt und waren es zufrieden, sich zurückzulehnen und ihn die ersten Wunden reißen zu lassen.
Er erinnerte mich daran, dass ich gesetzlich verpflichtet war, die Wahrheit zu sagen, gerade so, als ob wir uns vor Gericht befänden, und dass andernfalls eine Strafe wie bei einem Meineid in Anwendung käme. Dann entnahm er seinem Aktenkoffer einen telefonbuchdicken Packen fotokopierter Artikel und machte eine Schau daraus, die Papiere auf dem Tisch zu stapeln, sie herumzuschieben und zu sortieren und die Ecken übereinanderzubringen. Er nahm den obersten Artikel ab und sagte: »Ich möchte Ihnen etwas vorlesen, Doktor.«
»Nur zu.«
Er lächelte. »Ich wollte Sie wirklich nicht um Ihre Erlaubnis bitten, Doktor.«
»Ich wollte sie Ihnen wirklich nicht geben.«
Das Lächeln verschwand. Mal stieß mich unterm Tisch an. Jemand hustete. Moretti starrte mich an, ich starrte zurück, dann setzte er eine Brille mit randlosen achteckigen Gläsern auf, räusperte sich und fing an zu lesen. Er beendete einen Absatz, bevor er sich an mich wandte. »Kennen Sie den Artikel, Doktor?«
»Ja.«
»Erinnern Sie sich an die Quelle?«
»Es ist die Einleitung zu einem Artikel, den ich 1981 im Journal of Pediatrics veröffentlicht habe. Im Sommer’81, glaube ich, im August.«
Er prüfte das Datum, sagte aber nichts darüber. »Erinnern Sie sich auch noch an den wesentlichen Inhalt dieses Artikels, Doktor?«
»Ja.«
»Können Sie ihn für uns zusammenfassen?«
»Der Artikel beschreibt eine Studie, die ich von 1977 bis Mitte 1980 durchgeführt habe, als ich am Western Pediatric Hospital arbeitete. Die Forschung wurde vom Nationalinstitut für geistige Gesundheit finanziert, und ich sollte die Wirkung chronischer Erkrankungen auf die Anpassung von Kindern an ihre Umgebung erforschen.«
»War es eine gut durchgeführte Studie?«
»Ich glaube, ja.«
»Sie glauben, ja. Sagen Sie uns, was Sie in dieser gutdurchgeführten Studie getan haben - erklären Sie uns genau Ihren methodischen Ansatz.«
»Ich habe mehrere Tests durchgeführt, die die Anpassung kranker Kinder an ihre Umgebung ermitteln sollten, und zwar bei einer Gruppe von kranken Kindern und einer Kontrollgruppe von gesunden Kindern. Die Gruppen waren so zusammengesetzt, dass sie in Bezug auf
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