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Sharpes Beute

Titel: Sharpes Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Sharpe kannte diese Fender. Die verschlissenen waren zu dem Waisenhaus in der Brewhouse Lane gekarrt worden, wo die Kinder die Teerschicht entfernt und den Hanf gesplisst hatten. Als Neunjähriger hatte Sharpe die Nägel von vier Fingern verloren, als er mit kleinen bloßen Händen und blutigen Fingern die Hanffasern gesplisst hatte. Es war nutzlose Arbeit gewesen. Die Fasern waren dann als Alternative für das Rosshaar zum Versteifen des Mörtels beim Bau verkauft worden. Er blickte jetzt auf seine Hände. Immer noch rau, dachte er, aber nicht mehr schwarz vom Teer und blutig mit eingerissenen Nägeln.
    »Rekrut?«, fragte der Fährmann.
    »Nein.«
    Die schroffe Antwort mochte den Fährmann beleidigen, doch er zuckte nur mit den Schultern. »Geht mich ja nichts an«, murmelte er, während er das Boot mit geschickten Ruderbewegungen auf Kurs hielt, »aber Wapping ist ein ungesundes Pflaster, besonders für Offiziere.«
    »Ich bin dort aufgewachsen.«
    »Ah.« Der Mann bedachte Sharpe mit einem verwunderten Blick. »Dann kehren Sie heim?«
    »Ja, ich kehre heim«, bestätigte Sharpe. Der Himmel war wolkenverhangen und düster vom Rauch aus den Schornsteinen. Ein schwarzer Himmel über einer schwarzen Stadt, durchbrochen nur von einem Streifen Rosa im Westen. Die Heimkehr, dachte Sharpe. Freitagabend. Der leichte Regen sprenkelte den Fluss. Lichter schimmerten aus den Luken der Schiffe auf ihren Liegeplätzen, die nach Kohlenstaub, Abwasser, Walfischtran und Kräutern rochen. Möwen flogen wie weiße Fetzen durch die Abenddämmerung, drehten und verschwanden über dem Execution Dock, wo die Leichen zweier Männer, Meuterer oder Piraten, mit gebrochenem Genick am Galgen hingen.
    »Passen Sie auf sich auf«, sagte der Fährmann und lenkte sein Boot geschickt zwischen die anderen Boote am Kai. Er warnte Sharpe nicht vor der glitschigen Treppe am Kai, sondern vor den zwielichtigen Straßen oberhalb davon.
    Sharpe zahlte mit Kupfergeld und kletterte dann den Kai hinauf, der von niedrigen Lagerhäusern umgeben war, die von bissigen Hunden und von Schlägern mit Knüppeln bewacht wurden. Auf diesem Platz war es sicher genug, doch in der Gasse dahinter und in den Straßen war es gefährlicher. Er würde wieder in der Gosse sein, aber es war seine Gosse, das Viertel, in dem er aufgewachsen war, und er fürchtete es nicht besonders.
    »Colonel!«, rief eine Hure von einem Lagerhaus aus. Sie hob den Rock an und spuckte dann fluchend aus, als er sie ignorierte.
    Ein angeketteter Hund sprang nach ihm, als er in der High Street auftauchte, und ein paar kleine Jungs johlten spöttisch beim Anblick eines Armeeoffiziers und fielen hinter ihm in etwas, das sie für Gleichschritt hielten. Sharpe ließ sie etwa zwanzig Schritte höhnisch folgen, dann fuhr er blitzschnell herum und packte den nächsten Jungen an seiner schäbigen Jacke, hob ihn an und stieß ihn gegen die Wand. Zwei der anderen Jungs rannten davon, zweifellos, um Brüder oder Väter zu Hilfe zu holen.
    »Wo ist Maggie Joyce?«, fragte Sharpe den Jungen.
    Das Kind zögerte, überlegte, es ob es frech oder brav sein sollte. Dann grinste es. »Die ist weggezogen, Mister.«
    »Wohin?«
    »Nach Seven Dials.«
    Sharpe glaubte ihm. Maggie war einst seine Freundin gewesen, jedenfalls hoffte er, dass sie sich noch daran erinnerte, aber sie musste so viel Verstand gehabt haben, Wapping zu verlassen, obwohl Sharpe bezweifelte, dass es in Seven Dials viel sicherer war. Er war hierhergekommen, weil es Freitagabend und er arm war. »Wer ist der Master im Armenhaus?«, fragte er.
    Das Kind wirkte jetzt wirklich ängstlich. »Der Master?«, flüsterte es.
    »Wer hat da das Sagen, Junge?«
    »Jem Hocking, Sir.«
    Sharpe ließ den Jungen los, nahm den Halfpenny aus der Tasche und warf ihn durch die Straße, und die Jungen jagten zwischen Leuten, Hunden, Karren und Pferden hinter ihm her.
    Jem Hocking. Das war der Name, den er zu hören gehofft hatte. Ein Name aus einer schwarzen Vergangenheit, ein Name, der in Sharpes Erinnerung gärte.
    Der Zorn musste ihm anzusehen sein, als er inmitten der Straße ging, denn niemand leerte einen Eimer mit Spülwasser über seinem Kopf aus. Es war ein Sommerabend, die Sonne stand noch hinter Wolken verborgen am Horizont, doch hier herrschte winterliches Zwielicht. Die Häuser waren schwarz, die alten Backsteine von Balken gestützt. Einige der Steine waren heruntergefallen und lagen als Schutthaufen herum. Die Gosse stank. Überall kläfften Hunde.
    In

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