Sharras Exil
Unterwürfigkeit entgegengebracht. Schon als ich zehn Jahre alt war, folgten mir Leibwächter wie eine Schar von Gouvernanten, damit ich mir ja keinen Zehennagel brach – warum, um Himmels willen?
Er versank wieder einmal in eigene Gedanken, und so entgingen ihm die nächsten Worte Hasturs. Es traf ihn wie ein Schlag, als er seinen Großvater rufen hörte: »Die Siebte Domäne! Aldaran!«
Eine Stimme, von der Regis gemeint hatte, er werde sie nie wieder hören, erklang hinter dem Vorhang. Dann klapperten die metallenen Vorhangringe, ein hoch gewachsener Mann trat heraus und blieb an der Schranke stehen.
Er sah wie Lew aus, älter und ohne Narben, aber die Ähnlichkeit war immer noch vorhanden. Er hätte Lews älterer Bruder sein können. Er sagte: »Ich bin hier für Aldaran; Beltran-Kermiac, Lord von Aldaran und Scathfell.«
Das schockierte Schweigen in der Kristallkammer wurde gebrochen von Lews Aufschrei.
»Ich protestiere!«
Lew Altons Erzählung
8
Ich wusste nicht, dass ich protestieren würde, bis mir meine eigene Stimme in die Ohren gellte.
Ich hörte sie Aldarans Namen rufen, und mir wurde klar, dass es wirklich geschah; es war kein Alptraum. In Alpträumen hatte ich die Stimme oft genug gehört. Er sah mir immer noch so ähnlich, dass ich Zwillinge gesehen habe, die sich weniger glichen, obwohl uns jetzt niemand mehr verwechseln konnte … Bitterkeit überwältigte mich. Ihm war es zu verdanken, dass Sharra heraufbeschworen wurde, und da stand er, ohne ein Mal davongetragen zu haben. Ich hingegen, der ich gelitten hatte, um den von ihm entfesselten Feuersturm zu löschen und Sharra zu bändigen, damit sie unsern Planeten nicht von der Bucht der Stürme bis zur Mauer um die Welt verheerte – ich war narbenbedeckt und verstümmelt. Ich war der Ausgestoßene, nicht er.
»Ich protestiere!«, rief ich noch einmal und sprang hinab zu dem Mittelpunkt des offenen Raums. Nun stand ich ihm gegenüber.
Hastur erklärte nachsichtig: »Wir haben noch nicht gefragt, ob jemand Einspruch erhebt. Ihr müsst die Gründe für Euren Protest angeben.«
Ich versuchte, meine Stimme beherrscht klingen zu lassen. So groß mein Hass sein mochte – und ich spürte, dass er sich erheben und mich verschlingen wollte –, ich musste jetzt ruhig sprechen. Hysterie würde meiner Sache nur schaden. Ganz gleich, wie viele Proteste und unzusammenhängende Anschuldigungen sich in meinem Kopf überschlugen, ich musste den Fall logisch und vernünftig vortragen. Ich fasste nach der Präsenz in meinem Geist, den fremden Erinnerungen, die ich in mir trug – wie hätte mein Vater gesprochen? Er hatte es für gewöhnlich geschafft, dass der Rat nach seinem Willen tat.
»Ich erkläre«, begann ich und kämpfte darum, das Zittern meiner Stimme zu unterdrücken, »ich erkläre … das Vorhandensein … einer nicht erfüllten Blutrache.« Eine Blutrache galt überall in den Domänen als eine Verpflichtung, die Vorrang über sämtliche anderen Rücksichten hatte. »Sein Leben … gehört … mir – ich habe Forderung darauf erhoben.« Bis zu dieser Sekunde waren sich unsere Blicke nicht begegnet. Jetzt hob er den Kopf und sah mich an, skeptisch, betroffen. Ich wandte das Gesicht ab. Ich wollte mich nicht daran erinnern, dass ich diesen Mann einmal Cousin und Freund genannt hatte. Ihr Götter da oben, wie konnte er dastehen, mir ruhig ins Auge blicken und sagen: »Ich wusste nicht, dass du auf diese Weise empfindest, Lew. Du hältst mich also für alles verantwortlich? Wie kann ich das wieder gutmachen? Ich war mir nicht bewusst, dass es einen Streit zwischen uns gibt.«
Wieder gutmachen! Ich umklammerte den Stumpf meines Arms mit meiner guten Hand und hätte am liebsten losgebrüllt: Kannst du das hier wieder gutmachen? Kannst du mir sechs Jahre meines Lebens zurückgeben, kannst du mir … Marjorie zurückgeben? Dies eine Mal in meinem Leben war ich dankbar für das Vorhandensein der telepathischen Dämpfer, ohne die all das mit der ganzen Kraft der voll entwickelten Alton-Gabe durch den Raum gedonnert wäre. Stur erklärte ich: »Dein Leben gehört mir. Ich werde es nehmen, wann, wo und wie ich kann.«
Beltran spreizte leicht die Hände, als wolle er fragen: »Was soll das Ganze?« Ich schwöre, dass ich unter seinem fragenden Blick für einen Moment an meinem eigenen Verstand zweifelte. Hatte ich alles nur geträumt? Meine Fingernägel schnitten in mein Handgelenk ein, und ich erinnerte mich: Das war kein Alptraum.
Hastur
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