Sharras Exil
dir.«
Er fasste sie mit rauem Griff und zog sie an sich. Eine Umarmung war das kaum zu nennen. »Mädchen, weißt du, was du sagst? Du kannst es nicht wissen.«
Ihr war, als löse sie sich auf, als verschmelze sie mit diesem Mann. »Wenn du ertragen kannst, was du hast durchmachen müssen, kann ich es ertragen, davon zu wissen. Lew, lass es mich dir beweisen.«
Tief in ihrem Inneren fragte sie sich: Warum tue ich das? Aber sie wusste, dass gestern Abend, als sie sich auf der Tanzfläche in die Arme genommen hatten, ihre Körper trotz Lews fest geschlossener Abschirmung einen Pakt eingegangen waren. Jetzt konnten sie sich voreinander verbarrikadieren, soviel sie wollten, etwas in ihm und in ihr hatte mit dem anderen einen Kontakt hergestellt und akzeptiert, was dieser war, ganz und für immer.
Sie hob ihm das Gesicht entgegen. In dankbarer Überraschung legte er die Arme um sie und murmelte, sich immer noch zurückhaltend: »Aber du bist so jung, Chiya , du kannst nicht wissen … dafür sollte ich ausgepeitscht werden … aber es ist so lange her, so lange …« Ihr war klar, dass er von dem ganz Offensichtlichen sprach. Seine Abschirmung wich, und ihr eigenes Ich ging unter in der Flut seiner Gedanken … Erinnerungen an Schmerz und Entsetzen, ausgehungerte Sexualität, Qualen, schlimmer, als ein Mensch sie ertragen kann … Da war das peinigende, alles verschlingende Schuldgefühl, der Tod eines geliebten Menschen, die Selbsterkenntnis, die Selbstvorwürfe, die beinahe freudig begrüßte Verstümmelung als Ausgleich dafür, dass er lebte, während Marjorie tot war …
Mit einer verzweifelten, leidenschaftlichen Umarmung zog Dio ihn an sich. Das war es, wonach er sich am meisten gesehnt hatte: jemand, der all dies wusste und ihn immer noch ohne Vorbehalt akzeptierte, ihn trotzdem liebte. Liebe – war das Liebe, das Bewusstsein, dass sie gern all sein Leiden auf sich nehmen wollte, um ihm jeden weiteren Augenblick voll Qual und Schuldgefühl zu ersparen …?
Eine Sekunde lang sah sie sich, wie sie von seinem Geist widergespiegelt wurde, und sie erkannte sich kaum – warm, glühend, Frau. In dieser Sekunde liebte sie sich selbst für das, was sie ihm geworden war. Dann zerbrach der Rapport und zog sich wie Meereswogen bei Ebbe zurück. Dio blieben eine tiefe Erschütterung, Tränen und eine Zärtlichkeit, die niemals mehr geringer werden konnte. Erst jetzt senkte Lew sein Gesicht und küsste sie. Sie gab seinen Kuss zurück, lachte und flüsterte: »Geremy hatte Recht.«
»Womit, Dio?«
»Nichts, mein Liebster«, sagte sie frohen Herzens und voller Erleichterung. »Komm, Lew, die Falken sind unruhig, wir müssen sie in ihr Gehege bringen. Wir werden unser Geld zurückbekommen, weil wir kein Wild erlegt haben, aber was mich betrifft, so habe ich eine gute Jagd gehabt. Ich habe, was ich mir am meisten wünschte …«
»Und was ist das?«, fragte er neckend, aber einer Antwort bedurfte es nicht. Sie stiegen auf, und er berührte sie nicht mehr. Doch sie wusste, dass sie irgendwie immer noch miteinander verbunden, immer noch einer in den Armen des anderen waren.
Lew warf einen Arm hoch und rief: »Lass uns um die Wette reiten! Wer von uns ist zuerst an den Ställen?«
Und fort war er; Dio grub ihrem Pferd die Absätze in die Weichen und galoppierte ihm lachend nach. Sie wusste ebenso genau wie er, wie und wo dieser Tag enden würde.
Und das war erst der Beginn einer langen Jahreszeit auf Vainwal. Es würde ein langer, wunderschöner Sommer werden.
Dio wusste, dass Dunkelheit vor ihr lag, doch sie ging ihr ohne Furcht und aus freiem Willen entgegen, bereit, sich ihr zu stellen. Hinter der Dunkelheit erkannte sie, was Lew gewesen war und was er wieder sein konnte … wenn sie die Kraft und den Mut hatte, ihn hindurchzubringen. Sie raste ihm nach und rief: »Warte auf mich – Lew, wir wollen zusammen reiten!« Er verlangsamte den Lauf seines Pferdes ein bisschen und sah ihr lächelnd entgegen.
Lew Altons Erzählung
Vainwal:
Sechstes Jahr des Exils
3
Ich dachte, ich hätte vergessen, wie man glücklich ist.
Und doch war ich in diesem Jahr auf Vainwal glücklich. Der Planet besteht nicht nur aus der dekadenten Stadt der Vergnügungswelt. Vielleicht hätten wir ihn ganz verlassen – wenn auch nicht, um nach Darkover zurückzukehren –, aber mein Vater fand, das Klima tue seinem lahmen Bein gut, und zog es vor, an dem Ort zu bleiben, wo er heiße Quellen und Mineralbäder und manchmal, wie ich
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