Shayne - der Verführer (German Edition)
hatte.
“Hätte Shayne mich nicht in diese verrückte Untersuchung verwickelt, wäre gar nichts passiert”, behauptete Bliss. “Und Cunningham und Alan könnten noch leben.”
“Cunningham vielleicht”, bestätigte Michael. “Alan war jedoch ein Risiko und wäre auf jeden Fall ausgeschaltet worden. Und nicht Shayne hat den Verdacht auf dich gelenkt, Bliss. Churchill und Cunningham haben einen Sündenbock gesucht.”
“Und sie haben mich gewählt.”
“Ja, weil deine Reise nach Paris zeitlich passte. Außerdem warst du Churchill ein Dorn im Auge, weil du ihm deinen Laden nicht verkaufen wolltest. Auf diese Weise schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe.”
Sie fühlte sich plötzlich sehr erschöpft. “Können wir heimfahren?”
“Sicher. Ich kümmere mich um den Papierkram. Shayne wird da draußen schon verrückt. Ich …”
“Nein.” Sie schüttelte energisch den Kopf. “Ich will ihn nicht sehen.”
“Wie du meinst”, sagte Michael nur und ging.
Der nächste Monat schleppte sich endlos hin. Bliss war genau so stur, wie Zelda vorhergesehen hatte. Sie nahm Shaynes Anrufe nicht entgegen und antwortete nicht auf seine Briefe. Sie schickte auch alle Geschenke zurück – Pralinen, Blumen, rosa und purpurfarbene Alligatoren aus Plüsch, einen Parfumflakon, der angeblich Marie Antoinette gehört hatte. Shayne gab trotzdem nicht auf.
Er musste dreimal nach Washington fliegen, um vor seinen Vorgesetzten auszusagen. Je öfter er über seine Arbeit sprach, desto klarer wurde ihm, dass er seine Integrität in Frage gestellt hatte, um ans Ziel zu kommen. Er reichte seinen Abschied ein.
“Wollen Sie das wirklich, O’Malley?” fragte der Chef des Büros in Washington.
“Absolut, Sir.” Shayne legte seine Marke auf den Schreibtisch.
“Wir brauchen einen Mann, der Cunninghams Platz einnimmt. Ich habe Sie empfohlen.”
Cunningham hatte fast an der Spitze einer exklusiven Pyramide gestanden. Früher hätte Shayne das Angebot sofort angenommen. Durch Bliss hatte er jedoch eines erkannt – Macht korrumpierte.
“Ich fühle mich geehrt, Sir, aber ich kann der Agentur nicht mehr dienen.”
“Warum nicht? Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet, als Sie Cunningham entlarvten und den Ring platzen ließen, der uns so viele Schwierigkeiten gemacht hatte.”
Shayne sah keinen Sinn darin zu erklären, dass er sich auf die Suche nach seinem Gewissen machen wollte. “Sie kennen doch den Ausspruch, Sir, dass man immer dann aufhören soll, wenn es am schönsten ist.”
Er lächelte wie gewohnt, schüttelte dem grauhaarigen Mann hinter dem Schreibtisch die Hand und verließ das Büro.
Am nächsten Morgen saß Shayne im Büro seines Bruders und ging die Bücher durch.
“Woher willst du wissen, ob du überhaupt Geld verdienst oder nur verlierst?” fragte er und versuchte, aus diesem Wust von Zahlen schlau zu werden.
“Sehr einfach. Wenn meine Schecks nicht platzen, verdiene ich Geld. Wenn ich auf meine Reserven zurückgreifen muss, bin ich verschuldet.”
“Du berechnest deinen Klienten unterschiedliche Sätze?”
“Es kommt auf die Umstände an.”
“Was ist mit dem hier? Du hast vermerkt, dass er voll bezahlt hat.”
“Und?”
“Ich finde aber keinen Vermerk über den Eingang eines Schecks.”
“Wahrscheinlich gab es keinen Scheck.”
“Dann hat der Klient bar bezahlt?”
“Nein. Ich habe gratis gearbeitet.”
“Gratis?” Shayne sah Mike ungläubig an. “Warum?”
“Der Klient ist Polizist. Er hat mir einmal während der Unruhen auf dem St. Louis Friedhof das Leben gerettet. Ich stand in seiner Schuld. Als sich sein jüngster Sohn mit einer Gang herumtrieb, habe ich den Jungen ins Staatsgefängnis gebracht. Dann habe ich dafür gesorgt, dass ihn einige der Typen, die ich im Lauf der Jahre verhaftet hatte, fertig machten … natürlich nur in meinem Beisein und durch Anschreien. Danach habe ich ihn wieder heimgebracht. Jetzt geht er zur Schule und schneidet mit Auszeichnung ab.”
“Mein Bruder, der heilige Michael, von Beruf Privatdetektiv.”
“Ich habe doch gesagt, dass ich meinem ehemaligen Kollegen einen Gefallen schuldig war. Ich weiß, dass du in einer anderen Welt gearbeitet hast. Aber in meiner kleinen Welt passen Freunde aufeinander auf.”
“Das ist in meiner Welt auch so”, erwiderte Shayne. “Man passt auf seine Freunde auf, damit sie einem kein Messer in den Rücken jagen.”
“Du solltest dir bessere Freunde suchen.”
“Genau das finde ich auch.”
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