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Sherlock Holmes - Der Rote Kreis

Sherlock Holmes - Der Rote Kreis

Titel: Sherlock Holmes - Der Rote Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
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seine aktive, ungeduldige Natur es nicht länger ertragen. Er lief in einem Fieber unterdrückter Energie im Zimmer auf und ab, biß sich auf die Fingernägel, trommelte auf den Möbeln herum und tobte und schimpfte über die Untätigkeit.
    »Nichts Interessantes in der Zeitung, Watson?« fragte er schließlich.
    Es war mir klar, daß Holmes mit »Etwas Interessantes« auf jeden Fall etwas Kriminelles meinte. Es gab Nachrichten über eine Revolution, einen möglichen Krieg, einen drohenden Regierungswechsel, aber diese Dinge lagen nicht im Interessenbereich meines Gefährten. Die Nachrichten über Verbrechen waren jedoch langweilig. Holmes stöhnte und nahm seine ruhelose Wanderung wieder auf.
    »Die Londoner Verbrecher sind einfaltslose Pinsel«, sagte er in dem quengeligen Ton eines Jägers, der vergeblich auf Wild wartet. »Schauen Sie aus dem Fenster, Watson. Sehen Sie, wie man die Gestalten auf der Straße nur einen winzigen Augenblick vage wahrnimmt, und wie sie dann wieder vom Nebel verschluckt werden? Ein Dieb oder Mörder könnte in ganz London sein Unwesen treiben wie der Tiger im Dschungel, er würde ungesehen bleiben, bis er das Opfer in der Falle hat. Niemand außer dem Opfer würde ihn wahrnehmen. «
    »Ah, ich hab' da was«, sagte ich, »zahlreiche kleinere Diebstähle sind geschehen.«
    Holmes schnaubte wütend.
    »Diese große, düstere Bühne ist für etwas Besseres geschaffen«, sagte er. »Die Gesellschaft kann nur froh sein, daß ich kein Verbrecher bin.«
    »Das kann sie bestimmt«, stimmte ich aus vollem Herzen zu. »Nehmen Sie bloß einmal an, ich sei Brooks oder Woodhouse oder einer der fünfzig Leute, die guten Grund haben, mir nach dem Leben zu trachten. Wie lange würde ich überleben, wenn ich mein eigener Gegner wäre? Ein Hilferuf oder eine falsche Verabredung und schon wäre alles erledigt. Wie gut, daß sie in Italien, wo so viele Morde geschehen, keinen Nebel haben! Bei Gott, da kommt doch endlich etwas, was die endlose Monotonie einmal durchbricht!«
    Es war das Mädchen mit einem Telegramm. Holmes riß es auf und brach in Gelächter aus.
    »Na, was kommt als nächstes?« rief er. »Brüderchen Mycroft kommt vorbei.«
    »Warum auch nicht?« fragte ich.
    »Darum nicht, weil es grad' so ist, als wenn man einer Straßenbahn auf einem Feldweg be-gegnet. Mycroft zieht seine Kreise und verläßt seine vorgezeichneten Bahnen nie. Seine Pall Mall-Wohnung, der Diogenes Club, Whitehall, das ist seine Gegend. Einmal, nur ein einziges Mal, ist er hier gewesen. Was mag ihn wohl aus der Bahn geworfen haben, daß er zu uns kommt?« »Gibt er keinen Grund an?«
    Holmes reichte mir das Telegramm seines Bruders.
    »Muß dich wegen Cadogan West sprechen. Besuche dich umgehend. Mycroft.«
    »Cadogan West? Den Namen habe ich doch gehört.«
    »Mir sagt es nichts. Aber daß Mycroft aus seinem gewohnten Lebensrhythmus ausbrechen sollte! Eher würde doch ein Planet seine Bahn verlassen. Wissen Sie übrigens, was Mycroft beruflich macht?«
    Ich erinnerte mich vage an eine Erklärung aus der Zeit, als wir den Fall des griechischen Dolmetschers untersuchten.
    »Sie sagten mir einmal, daß er einen kleinen Posten bei der Regierung hat. «
    Holmes schmunzelte.
    »Damals wußte ich es selbst nicht besser. Man muß sehr diskret sein, wenn es um Staatsange-legenheiten geht. Sie haben aber recht, er arbeitet bei der Regierung. Sie würden sogar recht haben, wenn Sie behaupten, daß er in gewisser Weise manchmal selbst die britische Regierung ist.«
    »Mein lieber Holmes!«
    »Ich habe mir gedacht, daß Sie das überraschen würde. Mycroft bezieht vierhundertfünfzig Pfund im Jahr, bleibt an untergeordneter Stelle, hat keine Ambitionen, will keinerlei Titel noch Ehren annehmen und ist die Person, auf die man im ganzen Land am allerwenigsten ve rzichten kann. «
    »Aber wieso denn?«
    »Nun ja, seine Position ist einmalig. Er hat sich diesen Posten selbst geschaffen. Etwas wie ihn und seine Stellung hat es vorher nie gegeben und wird es auch nie wieder geben. Er hat ein Gehirn, wie es geordneter und sauberer nicht arbeiten könnte, mit der größten Kapazität, Fakten zu sammeln, die man sich nur denken kann, wirklich einmalig und unvergleichlich.
    Die gleiche große Kraft, die ich eingesetzt habe, um das Verbrechen aufzudecken, benutzt er für seine besonderen Aufgaben. Er hat Einsicht in die Beschlüsse aller Ressorts und ist die Hauptverteilungsstelle - die Stelle, in der geklärt und geordnet wird und die dann

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