Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
überwältigen, erdrosseln, an einen sicheren Ort bringen, in perfekter Form die Haut entfernen und ihn dann mitten auf der Hauptstraße platzieren. Zudem wurde Hodgson nach seinem angeblichen Tod völlig klar und aus der Nähe von mindestens vier Zeugen identifiziert. Davon abgesehen wissen wir von dem armen Gießer Smythe, dass Hodgson zumindest mit dem Diebstahl der Grabbeigaben zu tun hatte.“
„Gut und schön.“ Bowler schnaubte. „War ja klar, dass Hodgson etwas damit zu tun haben musste. Aber wie können Sie so sicher sein, dass das hier Hodgson ist?“
„Alle bisherigen Leichen sind da abgelegt worden, wo sie sehr schnell zu finden waren. Sie wurden regelrecht arrangiert. Diese Leiche wurde versteckt. Der Täter ...“
„Blödsinn“, tönte Bowler respektlos. „Wenn jemand versuchen würde, eine Leiche zu verstecken, hätte er sie irgendwo im Wald vergraben.“
„Im Gegenteil.“ Holmes lächelte. „Der Boden ist hier wegen der Tonerde leicht sauer, was eine Verwesung behindert. Zudem könnten jederzeit Hunde oder wilde Tiere eine Leiche entdecken und ausgraben. Offen, in einer verlassenen Jagdhütte liegend, ist sie vor wilden Tieren einigermaßen geschützt und kann in der feuchtwarmen Waldluft schnell verwesen.“
„Aber warum ist die Leiche dann gehäutet? Nur so zur Sicherheit?“ Holmes nickte freundlich.
„Und wieso muss das hier Hodgson sein?“, nahm ich den Faden wieder auf.
„Es gibt in diesem Fall für den Täter nur einen Grund eine Leiche verschwinden zu lassen: Niemand soll danach forschen, um wessen sterbliche Überreste es sich handelt. Dies ist in vorliegendem Fall nur dann wichtig, wenn die Person offiziell bereits tot war, was wiederum bedeuten dürfte, dass sie zu den Tätern gehörte.“ Endlich steckte er die Pfeife an. „Wir beide haben bereits festgestellt, dass es vermutlich zwei Täter gab: Einen mit den Fähigkeiten eines Kürschners und einen mit Kraft. Offenbar ist das hier der Mann mit der Kraft.
Als Stallbursche war Hodgson ein kräftiger Mann, verfügte aber kaum über die erforderliche Bildung, eine Person fachmännisch zu häuten. Also ist das vermutlich seine Leiche.“
„Außerdem können wir schließen, dass der andere Täter ihm körperlich nicht gewachsen war“, meinte ich.
„Warten wir es ab. Hier können wir nichts mehr erreichen. Wir sollten jetzt noch etwas Nachtruhe suchen. Morgen werden wir einen wichtigen Zeugen vernehmen.“
Ich erwachte, als jemand die Vorhänge meines Herbergszimmers mit einem Ruck zur Seite riss. Augenblicklich flutete gleißendes Sonnenlicht ins Zimmer, um stechend in meinen Augen zu landen. Ein amorpher Schatten bewegte sich vor dem Fenster.
„Auf, auf, mein Freund! Es gibt viel zu tun.“ Holmes’ Stimme klang für meinen Geschmack viel zu wach. Als ich taumelnd auf die Beine kam, roch ich die frische Luft an ihm. Er war offenbar bereits eine Weile auf den Beinen. Mit kaum verhohlener Ungeduld ließ er mir Zeit für eine oberflächliche Morgentoilette und servierte mir ein notdürftiges Frühstück. Wir traten bereits vor den Gasthof, als ich endlich vollständig wach wurde.
„Wo gehen wir hin?“
„Wir besuchen Dr. Shamroy, Ihren Hauptverdächtigen.“ Er lächelte spöttisch.
„Ich dachte, ich verdächtige noch immer Lady Myriam.“
„Nein, mein lieber Watson, Sie haben eingesehen, dass dieses entzückende Geschöpf für eine derartige Barbarei nicht verantwortlich sein kann. Sie verdächtigen Dr. Shamroy weil er als Arzt mit einem Skalpell umgehen kann, für die Identifizierung der Leichen verantwortlich war und sich mit Giften auskennt.“
„Ja ...“, gab ich zu.
„Ich habe bei meinen Recherchen heute Morgen erfahren, dass es im Ort auch noch einen Kürschner gibt. Er hat gestern, nach Bekanntwerden des Mordes, das Dorf verlassen.“
„Aber dann müssen wir ihn verhaften lassen!“ Holmes lachte leise. „Sie verwechseln Ihre Verdächtigen schnell.
Viele haben das Dorf wegen der Morde verlassen.“
„Die waren aber keine Kürschner!“
Officer Bowler wartete einige Meter voraus und beendete damit das Gespräch. Ein hölzernes Schild klärte darüber auf, dass der gebirgsartige Mann vor der Praxis von Dr. Shamroy stand.
Dr. Shamroy erwies sich als hagerer Mann um die Sechzig. Seine Manieren waren tadellos, doch litt seine Ausstrahlung sehr unter seinem Selbstbewusstsein. Er war es zweifellos gewöhnt, dass ihm sein Gegenüber so huldigte, wie Bowler dies zu meiner Überraschung tat.
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