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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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keine Angst haben«, sagte er in beruhigendem Ton, indem er sich über sie beugte. »Wir werden gewiss bald alles in Ordnung bringen. Sie sind heute früh mit der Bahn angekommen, wie ich sehe.«
    »Kennen Sie mich denn?«
    »Nein, ich bemerke nur die eine Hälfte der Rückfahrkarte, die Sie in Ihrem linken Handschuh stecken haben. Sie müssen früh aufgebrochen sein und hatten dann bis zur Bahn eine tüchtige Fahrt in einem Jagdwagen auf schlechten Wegen zu machen.«
    Mit dem Ausdruck höchsten Erstaunens starrte die Fremde meinen Freund an.
    »Sie brauchen sich nicht zu verwundern, werte Dame«, fuhr dieser lächelnd fort. »Der linke Ärmel Ihrer Jacke ist an nicht weniger als sieben Stellen mit noch ganz nassem Schmutz bespritzt. Kein anderes Fuhrwerk wirft aber so viel Schmutz auf wie ein Jagdwagen, und am allerschlimmsten ist es vollends, wenn man vorne links neben dem Kutscher sitzt.«
    »Das mag sein, wie es will, jedenfalls treffen Sie mit Ihren Schlüssen das Richtige«, versetzte sie. »Ich fuhr vor sechs Uhr von zu Hause ab, brauchte zwanzig Minuten bis nach Leatherhead und traf mit dem ersten Zug hier an der Waterloo Station ein. Es kann nicht länger so fortgehen, ich halte es nicht mehr aus, ich werde wahnsinnig. Ich habe gar niemand, an den ich mich wenden könnte – niemand; nur ein Einziger nimmt Anteil an mir, und der kann nicht viel für mich tun, der Arme. Man hat mir von Ihnen erzählt, Mr Holmes. Eine meiner Bekannten, Mrs Farintosh, der Sie einmal in ihrer schrecklichen Bedrängnis Beistand leisteten, hat mir Ihre Adresse gegeben. Ach, meinen Sie nicht, Sie könnten mir vielleicht ebenfalls helfen und die dichte Finsternis, die mich umgibt, wenigstens durch einen schwachen Schimmer erhellen? Sie für Ihre Dienste zu belohnen, bin ich freilich zurzeit nicht imstande, aber in sechs Wochen oder einem Monat, wenn ich verheiratet und im Besitz meines Vermögens bin, sollen Sie mich nicht undankbar finden.«
    Holmes entnahm seinem Schreibtisch ein kleines Buch mit Aufzeichnungen über frühere Fälle und schlug darin nach.
    »Farintosh«, murmelte er, »ach ja, jetzt erinnere ich mich des Falls. Es handelte sich um einen Opalkopfschmuck. Das war noch vor Ihrer Zeit, Watson. – Ich kann Ihnen die Versicherung geben, dass ich mich Ihres Falls mit Vergnügen ebenso eifrig annehmen werde wie damals der Angelegenheit der Ihnen befreundeten Dame. Was meine Belohnung betrifft, finde ich solche einzig in meiner Tätigkeit selbst; dagegen steht es Ihnen frei, mir meine etwaigen Auslagen bei gelegener Zeit zu ersetzen. Und nun bitte ich Sie, uns alles mitzuteilen, was für die Beurteilung des Falls irgend von Wert sein kann.«
    »Ach«, begann die Fremde, »das Schrecklichste an meiner Lage ist gerade, dass meine Befürchtungen so unbestimmter Natur sind und mein Verdacht sich auf höchst geringfügige Umstände stützt, die jedem anderen bedeutungslos erscheinen. Selbst der Mann, von dem ich in erster Linie Rat und Hilfe zu erwarten berechtigt wäre, betrachtet alle Vermutungen, die ich ihm gegenüber äußere, lediglich als Eingebungen meiner überreizten Nerven. Er sagt es nicht geradeheraus, allein ich merke es an seinen beschwichtigenden Antworten und ausweichenden Blicken. Aber Sie, Mr Holmes, sollen ja imstande sein, wie nur wenige die mannigfaltige Schlechtigkeit des menschlichen Herzens zu durchschauen. Ihr Rat wird mir den Weg zeigen, der mich glücklich durch die Gefahren hindurchführt, von denen ich rings umgeben bin.«
    »Ich bin ganz Ohr.«
    »Ich heiße Helene Stoner und wohne zusammen mit meinem Stiefvater, dem letzten Spross einer der ältesten Familien Englands, der Roylotts von Stoke Moran, an der Westgrenze von Surrey.«
    Holmes nickte. »Der Name ist mir wohlbekannt«, sagte er.
    »Die Familie gehörte einst zu den reichsten in ganz England, und ihre Besitzungen erstreckten sich bis über die Grenzen der benachbarten Grafschaften hinaus. Im vorigen Jahrhundert jedoch kam der Besitz viermal hintereinander in leichtsinnige, verschwenderische Hände, und als sich dann vollends unter der Regentschaft der Erbe der Güter dem Spiel ergab, war der Ruin der Familie besiegelt. Ein paar Hufen Landes und der zweihundert Jahre alte Familiensitz, auf dem aber schwere Pfandschulden lasteten, war alles, was übrig blieb. Der vorige Gutsherr harrte noch bis zu seinem Tod dort aus und lernte dabei das schreckliche Los eines verarmten Edelmanns gründlich kennen; sein einziger Sohn dagegen, mein

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