Sherlock Holmes - gesammelte Werke
ich.
›Ja, das ist’s eben. Spring in den Wagen, und wir können darüber während des Fahrens sprechen! Erinnerst du dich des Menschen, der am Abend vor deiner Abreise auftauchte?‹
›Vollkommen.‹
›Weißt du, wen wir damals in unser Haus aufnahmen?‹
›Keine Ahnung.‹
›Es war der Teufel, Holmes!‹, rief er.
Erstaunt starrte ich ihn an.
›Ja, es war der Teufel selbst. Wir haben seitdem keine ruhige Stunde gehabt – nicht eine einzige. Mein Vater wagte von jenem Abend an nicht mehr, sein Haupt zu erheben, und jetzt ist das Leben in ihm vernichtet und sein Herz gebrochen – alles durch diesen höllischen Hudson.‹
›Was gab ihm denn so viel Macht über ihn?‹
Ja, ich gäbe viel darum, wenn ich das wüsste. Der freundliche, mildherzige, gute alte Herr! Wie konnte er in die Klauen dieses Schuftes geraten sein! Aber ich bin so froh, dass du gekommen bist, Holmes! Ich habe solches Zutrauen zu deinem Urteil und deiner Verschwiegenheit und weiß, du wirst mir den besten Rat geben.‹
Wir jagten auf der glatten, weißen Landstraße dahin, während die weiten Moorstrecken vor uns im roten Licht der untergehenden Sonne erglühten, über den Baumgipfeln zu unserer Linken konnte ich schon die hohen Schornsteine und den Fahnenmast auf dem Trevorschen Herrenhaus bemerken.
›Mein Vater machte den Burschen zum Gärtner‹, sagte mein Begleiter, ›und dann, als er damit nicht zufrieden war, sogar zum Kellermeister. Das ganze Hauswesen schien ihm ausgeliefert zu sein, und er ging herum und tat, was ihm in den Sinn kam. Die Dienstmädchen beklagten sich über seine unsauberen Gewohnheiten, seine Trunkenheit und über seine gemeine Sprache. Papa suchte sie durch Lohnerhöhung für die Unbill zu entschädigen. Der Bursche nahm ohne Weiteres meines Vaters Boot und seine beste Büchse und lud sich selbst zu kleinen Jagdpartien ein. Das tat er alles mit solchem höhnischen, tückischen, frechen Gesichtsausdruck, dass ich ihn zwanzigmal niedergeschlagen hätte, wäre er nicht ein alter Mann gewesen. Ich sage dir, Holmes, ich musste während dieser ganzen Zeit mit Gewalt an mich halten, und jetzt frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, ich hätte mich etwas mehr gehen lassen.
Nun, es wurde noch immer schlimmer, und dieses Vieh, der Hudson, nahm sich immer mehr heraus, bis endlich der über’s Maß gefüllte Eimer überlief und ich Hudson, als er einmal meinem Vater in meiner Gegenwart eine unverschämte Antwort gab, an der Schulter packte und aus dem Zimmer schob. Gelb vor Wut und mit giftsprühenden Augen, die drohender wirkten, als es Worte vermocht hätten, schlich er sich fort. Was zwischen dem armen Papa und dem Schuft darauf stattgefunden hat, weiß ich nicht, aber Papa kam am nächsten Tag zu mir und fragte, ob ich Hudson um Entschuldigung bitten wollte. Wie du dir denken kannst, weigerte ich mich und hielt meinem Vater vor, wie er diesem Elenden erlauben könnte, ihm und allen Hausbewohnern so auf dem Kopf herumzutanzen.
›Ach, mein Junge‹, sagte er, ›du hast gut reden, aber du weißt nicht, wie meine Lage ist. Doch du sollst sie erfahren, komme, was da wolle! Du würdest nichts Böses von deinem armen, alten Vater glauben, wie, mein Junge?‹
Er war sehr bewegt und schloss sich den ganzen Tag in sein Studierzimmer ein, wo er, wie ich durch das Fenster sehen konnte, eifrig schrieb.
An jenem Abend trat etwas ein, das uns Erlösung zu bringen schien; Hudson erklärte uns nämlich, er wolle fortgehen. Er kam nach dem Essen ins Speisezimmer und kündigte uns seine Absicht mit der schweren Zunge eines Halbbetrunkenen an.
›Hab genug von Norfolk‹, sagte er. ›Will runter zu Mr Beddoes in Hampshire. Er wird, glaube ich, ebenso froh sein, wenn ich komme, wie Sie’s waren.‹
›Sie gehen nicht im Zorn weg, Hudson, hoffe ich?‹, sagte mein Vater mit einem mehr als sanftmütigen Ausdruck, der mein Blut zum Kochen brachte.
›Man hat mich noch nicht um Entschuldigung gebeten‹, entgegnete er mürrisch und lauernd, indem er nach meinem Platz hinschielte.
›Victor, du wirst zugeben, du hast diesen würdigen Mann zu rau behandelt‹, sagte Papa, zu mir gewendet.
›Im Gegenteil, ich denke, wir haben uns beide ganz außerordentlich langmütig gegen ihn gezeigt‹, lautete meine Antwort.
›So, meinen Sie? So?‹, knurrte er. ›Sehr gut, junger Mann! Wir werden ja sehen.‹ Damit schlenderte er aus dem Zimmer, und eine halbe Stunde später war er fort. Mein Vater befand sich aber
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