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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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ist die nackte Wahrheit; das schwöre ich dir, so wahr ich auf Barmherzigkeit hoffe.
    Mein Name, teurer Sohn, ist nicht Trevor. In meinen jungen Jahren hieß ich James Armitage, und du kannst jetzt verstehen, wie es mich vor einigen Wochen erschüttern musste, als dein Studienfreund Worte an mich richtete, aus denen hervorzugehen schien, dass er mein Geheimnis entdeckt habe. Als Armitage trat ich bei einem Londoner Bankhaus ein, und als Armitage wurde ich wegen Gesetzesbruch vor Gericht gezogen und zur Strafverschickung verurteilt. Denke darum nicht schlecht von mir, mein Junge: Es war eine sogenannte Ehrenschuld, die ich zu tilgen hatte, und ich verwendete dazu Geld, das mir nicht gehörte, in der Gewissheit, es ersetzen zu können, ehe auch nur die Möglichkeit einer Entdeckung bestand. Aber das schrecklichste Unglück verfolgte mich. Das Geld, auf das ich gerechnet hatte, blieb aus, und eine unvermutete Kontrolle deckte das Defizit auf. Der Fall hätte milde beurteilt werden können, aber vor dreißig Jahren war die Gesetzauslegung und Rechtsprechung weit schärfer als heutzutage, und mein dreiundzwanzigster Geburtstag fand mich als Missetäter mit siebenunddreißig anderen Sträflingen im Zwischendeck der nach Australien segelnden Barke »Gloria Scott« angekettet.
    Es war im Jahre 1855, als der Krimkrieg noch in voller Wucht tobte, und die alten Sträflingsschiffe dienten vielfach zum Truppentransport nach dem Schwarzen Meer. Die Regierung sah sich daher genötigt, zur Verschickung der Strafkolonisten kleinere oder weniger geeignete Schiffe einzustellen. Die »Gloria Scott« war als Chinafahrer zum Teehandel verwendet worden, aber sie war ein altmodisches, schwergebautes, breitbugiges Fahrzeug, das den neuen, scharfbugigen Kuttern weit nachstand. Bei fünfhundert Tonnen Tragfähigkeit zählte sie außer ihren achtunddreißig Zuchthausvögeln eine Mannschaft von sechsundzwanzig Köpfen, achtzehn Seesoldaten, einen Kapitän, drei Maate, einen Arzt, einen Kaplan und vier Wärter. So fasste sie alles in allem an hundert Seelen, als wir von Falmouth in See stachen.
    Die Wände zwischen den Sträflingszellen waren nicht, wie gewöhnlich auf diesen Schiffen, von dickem Eichenholz, sondern ganz dünn und zerbrechlich. Mein nächster Nachbar nach Backbord zu war mir schon, als man uns zum Kai hinunterführte, vor allen aufgefallen. Er war ein junger Mann mit bleichem, bartlosem Gesicht, langer dünner Nase und wahren Nussknackerkinnbacken. Sein Kopf reckte sich recht übermütig in die Luft, sein Gang war herausfordernd; zudem überragte er alle schon durch seine auffallende Körpergröße. Ich möchte glauben, dass ihm keiner von uns bis an die Schulter reichte, und er muss nach meiner Schätzung sechseinhalb Fuß gemessen haben. Sonderbar mutete es einen an, unter so vielen Jammergesichtern eines voll Tatkraft und Entschlossenheit zu sehen. Wie ein Kaminfeuer im Schneesturm kam es mir vor. So war es für mich eine Freude, diesen Mann zum Nachbarn zu haben, und eine noch größere, als ich durch die Totenstille der Nacht auf einmal dicht an meinem Ohr eine Stimme flüstern hörte und merkte, dass es ihm geglückt war, ein Loch in die uns trennende Bretterwand zu schneiden.
    »Hallo, Kollege!«, sagte er. »Wie heißen Sie, und was haben Sie ausgefressen?«
    Ich antwortete ihm und fragte meinerseits nach seinem Namen.
    »Ich bin Jack Prendergast«, sagte er, »und bei Gott, Sie werden meinen Namen segnen lernen, ehe wir wieder voneinandergehen.«
    Ich erinnerte mich augenblicklich seines Falles, denn er hatte kurz vor meiner eigenen Festnahme ungeheures Aufsehen im ganzen Land erregt. Prendergast war von guter Herkunft und ein sehr begabter Mensch, besaß aber eine unheilbare Neigung zu gesetzlosem Tun und hatte die ersten Londoner Kaufleute durch die sinnreichsten Gaunereien um gewaltige Summen gebracht.
    »Ah, ich sehe, Sie erinnern sich an meinen Fall«, sagte er stolz.
    »Allerdings, sehr gut.«
    »Dann erinnern Sie sich vielleicht auch an etwas Merkwürdiges dabei?«
    »Was soll das sein?«
    »Ich hatte ziemlich eine Viertelmillion Pfund, nicht?«
    »So hieß es.«
    »Aber man konnte nichts wiederfinden, was?«
    »Nein.«
    »Nun, wo denken Sie, dass das Geld geblieben ist?«, fragte er.
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Gerade zwischen meinen Fingern und Daumen«, sagte er. »Bei Gott, meines Vaters Sohn hat mehr Dukaten als Sie Haare auf dem Kopf! Und wenn man Geld hat, mein Lieber, und es zu verwenden und auszugeben

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