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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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die eine so bedeutende Rolle bei unserem nächtlichen Abenteuer gespielt hatte. Es war eine Nachbildung meines Freundes aus Wachs, so wunderbar ausgeführt, dass sie ihm täuschend ähnlich sah. Sie stand auf einem Tischchen und war mit einem alten Arbeitsrock von Holmes so angetan, dass die Täuschung von der Straße aus vollkommen sein musste.
    Mrs Hudson war uns freudestrahlend entgegengeeilt, als wir eingetreten waren.
    »Ich hoffe, Sie haben keine Vorsichtsmaßregel außer Acht gelassen, Mrs Hudson?«, fragte Holmes.
    »Ich bin auf den Knien hingerutscht, genau wie Sie mir befohlen hatten, Mr Holmes.«
    »Ausgezeichnet. Sie haben Ihre Sache vorzüglich gemacht. Haben Sie gesehen, wo die Kugel hingeflogen ist?«
    »Jawohl. Ich fürchte, sie hat die schöne Büste verdorben; sie ist nämlich gerade durch den Kopf gegangen und an der Wand abgeprallt. Ich hab sie vom Teppich aufgehoben. Hier ist sie.«
    Holmes reichte sie mir hin. »Eine richtige Revolverkugel, wie Sie sehen. In dieser Sache steckt eine feine Überlegung, Watson, denn kein Mensch konnte glauben, dass ein solches Ding aus einer Büchse kommt. Ich danke Ihnen schön, Mrs Hudson, für Ihre freundliche Mitwirkung. Und nun setzen Sie sich wieder auf Ihren alten Stuhl, Watson, ich muss Ihnen noch manches erzählen.«
    Er hatte den langen Schoßrock ausgezogen und war in seinem mausgrauen Schlafrock wieder der alte Holmes von ehedem.
    »Des alten Schikaris Nerven sind noch gut und ruhig«, sagte er lachend, als er den zerschmetterten Schädel seiner Büste in Augenschein nahm.
    »Gerade mitten durchs Gehirn. Er war der beste Schütze in Indien, und er wird auch in London schwerlich seinesgleichen haben. Ist er Ihnen dem Namen nach bekannt?«
    »Nein, ich kenne ihn nicht.«
    »Ei, ei, das ist merkwürdig! Aber, wenn ich nicht irre, hatten Sie ja auch den Namen des Professors Moriarty, eines der feinsten Köpfe des Jahrhunderts, vorher nicht gehört. Sie können mir mal das Buch mit den Biografien herreichen.«
    Er blätterte gemächlich, während er in seinen Stuhl zurückgelehnt lag und riesige Rauchwolken aus der Zigarre von sich blies.
    »Ich habe eine niedliche Sammlung von Namen, die mit ›M‹ anfangen«, sagte er endlich. »Da ist Moriarty selbst, ein Mann, über den man ein ganzes Buch schreiben könnte, ferner Morgan, der Giftmischer, dann kommt Merridew schrecklichen Angedenkens und mein Freund Mathews vom Wartesaal in Charing Cross und hier endlich Mr Moran.« Er gab mir das Buch, und ich las:
    »Moran, Sebastian, Oberst a. D. Früherer Offizier beim ersten Pionierregiment in Bengalore. Im Jahre 1840 in London geboren, als Sohn des Abgeordneten und ehemaligen britischen Gesandten in Persien, August Moran. Besuchte die Hochschulen in Eton und Oxford. Machte die Feldzüge in Jowaki und Afghanistan mit und stand in Charasiab, Scherpur und Kabul. Verfasser von: ›Hochjagden im westlichen Himalaja‹, 1881; ›Drei Monate im Dschungel‹, 1884. Adresse: Conduit Street. Mitglied des Anglo-indischen, des Tankerville- und des Bagatellespielklubs.«
    Am Rande hatte Holmes selbst bemerkt: »Der zweitgefährlichste Mann in London.«
    »Sonderbar!«, sagte ich, als ich ihm den Band zurückgab. »Der Mann hat eine sehr achtbare Soldatenlaufbahn hinter sich.«
    »Das ist richtig«, versetzte Holmes. »Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war er anständig. Er hatte stets eiserne Nerven. Man erzählt jetzt noch die Geschichte, wie er in Indien in einem Graben sich an einen Tiger heranschlich, der einen Menschen verzehrte, und ihm die Beute abjagte. Es gibt Wesen, Watson, die sich bis zu einem bestimmten Punkt normal entwickeln und sich dann mit einem Mal vollkommen verändern. Man kann das öfter beobachten. Meiner Ansicht nach spiegelt sich in der Entwicklung jedes Einzelwesens diejenige der ganzen Vorfahrenkette wider, und ein plötzlicher Umschlag zum Guten oder zum Bösen stellt den Ausfluss aus der Reihe seiner Ahnen dar. Das Individuum wiederholt gewissermaßen die Geschichte seiner Familie.«
    »Diese Theorie erscheint mir etwas fantastisch.«
    »Nun, ich will nicht näher darauf eingehen, wie ihm aber auch sei, Oberst Moran geriet allmählich auf Abwege. Wenn es auch nicht zum öffentlichen Skandal gekommen ist, in Indien wurde ihm der Boden doch zu heiß unter den Füßen, er konnte sich nicht mehr länger dort halten. Er kam also nach London und erfreute sich auch hier nicht lange eines guten Rufes. Damals nahm sich Professor Moriarty seiner an, er war

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