Sherlock Holmes - gesammelte Werke
auch dabei bleiben.«
»Gut, Sie sind sehr nobel. Ich habe den Kopf Ihrem Wunsch gemäß gleich mitgebracht. Hier ist er!« Er machte die Reisetasche auf, und heraus kam eine getreue Nachbildung des Devine’schen Napoleon aus Gips, wie wir sie in ihren Stücken schon ein paarmal gesehen hatten.
Holmes zog ein Papier aus der Tasche und legte eine Zehnpfundnote auf den Tisch.
»Wollen Sie, bitte, dieses Schreiben in Gegenwart dieser Zeugen unterzeichnen, Mr Sandeford? Es besagt nur, dass Sie jedwedes Recht, das Sie an der Büste haben, auf mich übertragen. Ich bin ein vorsichtiger Mann, wie Sie sehen; und man weiß nie, was sich später aus einer Sache entspinnt. – Danke, Mr Sandeford; hier ist Ihr Geld. Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Abend.«
Sobald unser Besucher hinaus war, zeigte mein Freund ein eigentümliches Verhalten. Er nahm aus einer Schublade ein reines Tuch und breitete es auf dem Tisch aus. Dann stellte er seine eben erworbene Büste darauf. Zum Schluss nahm er seine Pistole und gab einen scharfen Schuss auf das Haupt Napoleons ab. Die Figur zerbrach in Stücke, die Holmes begierig betrachtete. Im nächsten Moment stieß er einen Freudenschrei aus und hob ein Stück in die Höhe, in dem ein runder, dunkler Gegenstand steckte, wie eine Rosine in einem Kuchen.
»Meine Herren!«, rief er triumphierend, »darf ich Ihnen die berühmte schwarze Perle der Borgia zeigen?«
Lestrade und ich waren eine Weile sprachlos, dann aber brachen wir ganz unwillkürlich in lautes Beifallklatschen aus, wie ein Theaterpublikum, wenn die Lösung des Stückes kommt. Eine flüchtige Röte überflog meines Freundes bleiche Wangen, und er verbeugte sich wie der dramatische Künstler, der für den Beifall des Auditoriums dankt. In solchen Augenblicken war er nicht mehr die denkende, fühllose Maschine, sondern verriet die allgemein menschliche Liebe für Bewunderung und Beifall. Wenn er auch als stolzer und zurückhaltender Mann öffentliches Lob verabscheute, so konnte er doch durch die unwillkürliche Beifallskundgebung eines Freundes tief berührt werden.
»Ja, meine Herren«, sagte er, »es ist die berühmteste Perle der Welt, und ich habe Glück gehabt, ihre Spur durch eine Reihe logischer Schlüsse vom Schlafzimmer des Fürsten Calonna im Dacre Hotel, wo sie abhanden kam, bis in das Innere dieser letzten von sechs Napoleonbüsten von Gelder & Co. in Stepney verfolgt zu haben. Sie werden sich noch des Aufsehens erinnern, Lestrade, welches das Verschwinden dieses kostbaren Kleinods damals erregte, und wie die Londoner Polizei sich vergeblich bemühte, es wiederzufinden. Ich wurde auch zurate gezogen, vermochte aber damals ebenso wenig Licht in das Dunkel zu bringen wie die übrigen. Der Verdacht fiel auf die Zofe der Gräfin, eine junge Italienerin. Es konnte ihr aber nur nachgewiesen werden, dass ein Bruder von ihr in London lebte; ein engerer Zusammenhang war jedoch nicht zu finden. Das Mädchen hieß Lucretia Venucci, und dieser Pietro, der in der vorgestrigen Nacht ermordet worden ist, ist kein anderer als ihr Bruder. Ich habe in den alten Zeitungen nach den Daten gesucht und daraus ersehen, dass die Perle gerade zwei Tage vor Beppos Verhaftung verschwunden war – er wurde damals wegen einer Messeraffäre verfolgt und in der Werkstatt bei Gelder & Co. im selben Moment ergriffen, als diese Büsten hergestellt wurden. Sie werden nun das Folgende, wenn auch in anderer Reihenfolge als ich, ohne Schwierigkeiten begreifen können. Beppo hatte die Perle in seinem Besitz, vielleicht hatte er sie von Pietro gestohlen, vielleicht war er auch sein Komplize, womöglich gar der Zwischenträger zwischen Pietro und seiner Schwester. Ob die eine oder die andere Annahme richtig ist, tut nichts zur Sache.
Es kommt nur darauf an, dass er die Perle hatte und zur Zeit, als ihn die Polizei verfolgte, bei sich trug. Er lief in die Werkstatt, er wusste, dass er in etlichen Minuten eine Durchsuchung zu gewärtigen hatte, bei der man die Perle finden würde, da sah er sechs Napoleonbüsten im Gang zum Trocknen stehen. Eine derselben war noch weich. Ohne Besinnen machte Beppo, ein geschickter Arbeiter, ein kleines Loch in die feuchte Gipsmasse, steckte rasch die Perle hinein und machte die Öffnung durch ein paar kunstgerechte Fingerbewegungen wieder zu. Es war ein vortreffliches Versteck. Kein Mensch konnte die Perle an dieser Stelle vermuten und finden. Beppo musste nun ein Jahr ins Gefängnis, währenddessen die sechs Büsten
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